Wohnen, Zentrumslasten, Verkehr

Der Altstadt Kurier hat alle Parteien eingeladen, eine(n) oder zwei ihrer Gemeinderatskandidatinnen und -kandidaten im Wahlkreis 1+2 zur Teilnahme an einer Gesprächsrunde zu entsenden. Mit dieser nicht öffentlichen Veranstaltung wollten wir ein Forum bieten, den Kreis 1 betreffende Themen zu diskutieren. Es hat sich ein lebhaftes Gespräch entwickelt. Die Fragen hat Michael Schädelin gestellt. – Lesen Sie eine Zusammenfassung des Gesprächs.

Die Stadt Zürich hat bekanntlich eine neue Vermietungsverordnung sowie ein neues Mietreglement erlassen. Am 1. Januar 2024 wird die Übergangsfrist für bestehende Mietverhältnisse auslaufen und die neuen Regeln werden umgesetzt. Das erzeugt erhebliche Sorgen im Quartier: Zahlreiche Menschen, die ein halbes Leben im Quartier wohnten, müssen vermutlich in andere Quartiere umsiedeln, weil sie im Kreis 1 auf dem privaten Wohnungsmarkt keine bezahlbaren Optionen finden. Was sagen Sie diesen Menschen?

Nicolà Eisler (SP) (Die Erstbeantwortung der Fragen wurde ausgelost.): Bei Überbelegung der Wohnung durch Familienzuwachs sehe ich ein Dilemma. Ich verstehe die Sorgen und das Anliegen, einen Wohnungswechsel im Quartier machen zu können. Aber ich verstehe auch die Familie aus Altstetten, die in der Altstadt wohnen möchte. Sollen diejenigen, die bisher profitieren konnten, mehr Rechte haben?

Michael Schmid (AL): Ich verstehe die finanzielle Regelung, auch die Belegungsvorschriften. Das ist sozial und ökologisch sinnvoll. Aber: Wer lange Jahre in der Wohnung gelebt hat und wechseln muss, den trifft es hart. – Grundsätzlich: Die Stadt und die Genossenschaften halten sich ans Mietrecht, während ein grosser Teil der privaten Vermieter illegale Gewinne erzielt mit den Mieten.

Luca Maggi (Grüne): Mit der neuen Verordnung wird es gerechter, primär hat man das aus finanziellen Gründen geändert. – Wenn Leute vertrieben werden, muss man handeln. Wer hier verwurzelt ist, die Kinder hier zur Schule gehen, sollte ein Vorrecht erhalten bei der Vergabe von Wohnungen. Aber die Zahl der Wohnungen ist begrenzt, egal, wie viel man baut, man ist immer im Rückstand. Solange es eine Spekulation gibt, wird sich nicht viel ändern. Hier muss man korrigierend eingreifen.

Guy Krayenbühl (GLP): Die neue Verordnung war lang im politischen Prozess, im Parlament, und wurde so angenommen. Es geht nicht um illegales Renditetreiben, sondern um Kostenmiete. Die Altstadt ist privilegiert, es gibt einen hohen Anteil städtischer Wohnungen.

Michael Schmid (FDP): Wir haben hier das Ergebnis eines breit abgestützten Kompromisses. Und der gilt.

Reto Lüchinger (Die Mitte): Mit der Vermietung eine Rendite zu erzielen, das ist nicht illegal.

 

Das neue Mietreglement sieht vor, dass Mietenden, die aufgrund einer Unterbelegung eine kleinere Wohnung suchen, ein Ersatzangebot unterbreitet wird. Das Umgekehrte, bei einem grösseren Platzbedürfnis aufgrund von Familienzuwachs, ist – mit dem Hinweis auf nur wenige grosse Wohnungen im Kreis 1 – nicht vorgesehen. Der Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat versteht das nicht und hat eine entsprechende Petition aufgelegt. Wie beurteilen Sie dieses Anliegen?

Guy Krayenbühl (GLP): Ich finde das generell eine gute Idee. Da ist vermutlich etwas vergessen gegangen beim neuen Reglement. – Aber das Hauptthema bleibt die Unterbelegung.

Michael Schmid (FDP): Bei Unterbelegung erhält man ein Angebot, weil man ausziehen muss. Umgekehrt will man allenfalls ausziehen. Das ist ein anderer Fall.

Ruedi Schneider (SP): Das Anliegen muss man ernst nehmen, auch wenn es sich um Einzelfälle handelt. Das gilt für die ganze Stadt. Für Familien, die in einem Quartier verankert sind, soll es die Möglichkeit geben, im Quartier zu bleiben.

 

Soll die Stadt Zürich angesichts der akuten Wohnungsnot Massnahmen treffen, um Zweitwohnungen sowie die Vermietung via Airbnb einzuschränken?

Reto Lüchinger (Die Mitte): Das soll man Privaten überlassen, da spielt der Markt.

Dominique Engelhart (FDP): Genau. Da bin ich gleicher Meinung.

Sibylle Kauer (Grüne): Es geht ja darum, ob gewohnt wird oder ob es eine Hotelnutzung ist. Das sollte dem entsprechenden Anteil zugerechnet werden.

Nicolà Eisler (SP): Man sollte bei Airbnb die Zahl der Tage beschränken, an denen etwa ein Zimmer entsprechend vermietet werden darf. Es geht ums Wohnen versus Gewerbeflächen.

Luca Maggi (Grüne): Zu viel Airbnb ergibt tote Quartiere statt Quartierleben. Es ist eine Katastrophe, wenn Wohnungen leer stehen und nur an Touristen abgegeben werden. Siehe Barcelona.

Dominique Engelhart (FDP): Zweitwohnungen und Airbnb ist zweierlei. Ich bin selber am Wochenende oft weg. Ein(e) Wochenaufenthalter(in) ist eine andere Ausgangslage.

Luca Maggi (Grüne): Das Problem dabei ist, dass es keine Zahlen dazu gibt.

Guy Krayenbühl (GLP): Ja, es gibt keine Zahlen. Uns zu messen an Barcelona oder Paris, das ist lächerlich.

Michael Schmid (FDP): Das Problem wird herbeigeredet. Wir sollten nicht unterscheiden in gute und weniger gute Wohnformen.

Luca Maggi (Grüne): Jeder würde gern in einer städtischen Wohnung leben.

Michael Schmid (FDP): Das Vermietungsreglement ist ein politischer Kompromiss. Primär geht es um die Belegung der Wohnung, sodann um die wirtschaftlichen Verhältnisse. Bei der Stadt zu wohnen ist nicht die einzige Wohnform. Städtische Mieten, das ist vergünstigtes Wohnen.

Michael Schmid (AL): Der Stadtrat muss nun die entsprechenden Zahlen liefern.

Guy Krayenbühl (GLP): Es gibt genügend günstige Wohnungen, faire Mieten. Ich habe das selber erlebt, wenn ich eine Wohnung suchte. Es sind immer die gleichen Objekte mit horrenden Preisen, die immer wieder ausgeschrieben sind.

Luca Maggi (Grüne): 17 000 bis 18 000 Leute mit Tieflöhnen pendeln täglich nach Zürich, weil in der Stadt die Mieten zu hoch sind.

Guy Krayenbühl (GLP): Der Median für eine Vierzimmerwohnung in Zürich liegt bei 1580 Franken. Das geht!

Nicolà Eisler (SP): Die Mieten sind um 85 Prozent gestiegen in den letzten 25 Jahren, viermal stärker als die Löhne.

 

Gewerbe und Detailhandel

Der Detailhandel in der Altstadt sieht sich in einer schwierigen Situation: Zu nennen ist insbesondere die Konkurrenz durch Onlinekanäle sowie hohe Mieten. Letzteres betrifft übrigens auch Handwerksbetriebe, die in der Altstadt immer dünner angesiedelt sind. Sehen Sie Möglichkeiten, die Situation zu verbessern?

Luca Maggi (Grüne): Das ist ein wichtiger Punkt, die Mieten sind zu hoch. Daraus folgt eine Verödung, nur grosse Ketten können sich das noch leisten.

Reto Lüchinger (Die Mitte): Wobei: Gerade bei Metzger Bär ist das Haus ja in Familienbesitz. Nicht ein böser Vermieter ist schuld an der Schliessung des Geschäfts.

Guy Krayenbühl (GLP): Auch beim Restaurant «Neumarkt» waren es andere Gründe, da war das Theater zu laut.

Dominique Engelhart (FDP): Man soll das Gewerbe nicht einschränken. Beispielsweise der Sonntagseinkauf würde es einem Familienbetrieb erleichtern.

Luca Maggi (Grüne): Ein reiner Familienbetrieb darf das ja, am Sonntag öffnen. Aber am einzigen freien Tag, an dem man womöglich noch Administratives erledigen muss, auch noch arbeiten? Vom Sonntagseinkauf profitieren nur grosse Geschäfte.

Dominique Engelhart (FDP): Ok, das mit den Familien stimmt. Aber kleine Betriebe würden dennoch profitieren.

Christoph Luchsinger (Die Mitte): Man müsste dem Privatverkehr Kosten auferlegen. Das würde helfen, dass man in der Nähe des Wohnorts einkauft.

Sibylle Kauer (Grüne): Mit liberalisierten Öffnungszeiten würden sich Quartierbewohner nicht wohl fühlen.

Michael Schmid (AL): Es gäbe schon eine Verbesserungsmöglichkeit: Die Stadt schreibt ihre Gewerbeflächen zu teuer aus. Die «Raclette-Factory» an der Stüssihofstatt beispielsweise zahlt 400 000 Franken Miete im Jahr. Statt eine so hohe Miete zu fordern sollte man schauen, was an einem Ort passen würde und dann erst die Miete festlegen.

 

Der kürzlich angenommene kommunale Richtplan zielt auf eine Vielzahl von lebendigen und lokalen Zentren; dies weckt in gewissen Kreisen Ängste vor dem Verlust der Zentrumsfunktion der Innenstadt. Wie sehen Sie dies?

Michael Schmid (AL): Schön wärs, in der Nähe einzukaufen. Ich begrüsse die Dezentralisierungsförderung. Als Effekt hätten grosse Warenhäuser vielleicht weniger Umsatz. Die zusätzliche Attraktivität für kleine Händler im Quartier ist zu begrüssen.

Stephan Hegetschweiler (GLP): Mehr Grün, Platz, Ruhe. Aussenquartiere würden profitieren. Sie erscheinen heute oft etwas «seelenlos».

Sibylle Kauer (Grüne): Die Altstadt und die Bahnhofstrasse werden immer viele Besucher haben. Da gibt es etwas zu sehen, ist es schön.

Michael Schmid (FDP): Für die Altstadt ist es eine Gefahr, wenn 08/15-Zentren entstehen. Das muss man sehr kritisch im Auge behalten und in der Umsetzung begleiten.

Guy Krayenbühl (GLP): Dass das Parlament in Oerlikon tagt – also jetzt vielleicht nicht gerade wegen dieser Halle – das ist ein Genuss. Altstetten finde ich spannend… – Ich finde das extrem positiv. Zürich ist nicht nur der Kreis 1.

Ruedi Schneider (SP): Durch die Dezentralisierung ergäbe sich eine Entlastung für Anwohner der Altstadt. Es gäbe eine Verlagerung. Gewisse Probleme hier würden entschärft, beispielsweise der Nachtlärm.

 

Verkehr

Soeben wurde der Tempo-30-Plan der Stadt veröffentlicht. Für 150 Kilometer soll neu Tempo 30 gelten. In der Altstadt gehören beispielsweise die Mühlegasse sowie die Talstrasse, nicht jedoch die Rämistrasse dazu. Wie beurteilen Sie das?

Christoph Luchsinger (Die Mitte): In der Altstadt gibt es nur wenige Beispiele… – Verflüssigung bekommt man so nicht hin. Ich selber bin zu Fuss und mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs. – Ich war schon immer für einen Seetunnel, um das Seebecken zu entlasten. Das Auto ist ein hervorragender Feinverteiler, aber in der Innenstadt… – Das Seebecken autofrei: Das wärs!

Michael Schmid (AL): Auch für den Seilergraben wäre Tempo 30 erwünscht, das hätte einen positiven Effekt für die Anwohner. – Die Stadt ist ja zu Tempo 30 verpflichtet durch Bundesrecht. Wer schnell unterwegs sein will, hat die S-Bahn zur Verfügung.

Nicolà Eisler (SP): Schneller als mit Tempo 30 ist man am Seilergraben ohnehin nicht unterwegs. Wobei die Verlangsamung des ÖV problematisch ist. Aber das Bundesrecht…

Ruedi Schneider (SP): Wobei es gerade am Seilergraben ja eine separate Spur hat für das Tram. Also kein Problem für den ÖV.

Michael Schmid (FDP): Das mit dem Bundesrecht: Da geht es um Lärmschutz und betrifft das Baurecht, nicht Tempo 30. – Ich sehe Tempo 30 kritisch. Etwa die Mühlegasse zu beruhigen ist ein guter Ansatz. Aber flächendeckend Tempo 30? Nein!

Reto Lüchinger (Die Mitte): Parkplätze aufheben, Tempo 30, Velowege: Das ist ein Stückwerk, so kommt man nicht ans Ziel. Man sollte gross, anders denken. Stattdessen lässt man alle grossen Projekte sterben. Der Seetunnel ist so ein Beispiel.

Guy Krayenbühl (GLP): Dass der Stadtrat an der Rämistrasse nicht Tempo 30 einführen will, ist nicht nachvollziehbar. Die ist derart eine Schlucht, derart lärmbelastet!

Sibylle Kauer (Grüne): Es geht ums Klima, um Lärm, mehr Velos. Tempo 30 ist besser. An der Mühlegasse klar Tempo 30. In der Altstadt ist Tempo 30 gut möglich.

 

Die Stadt Zürich will bekanntlich den Veloverkehr fördern, was auch in der Altstadt begrüsst wird. Dennoch ist im Gassengespräch der Ärger über aggressive Velofahrer ein Dauerbrenner. Diese fahren mit hoher Geschwindigkeit durch die Fussgängerzone, wo – falls überhaupt gestattet – Schritttempo vorgeschrieben ist. Sehen Sie hier Handlungsbedarf und wenn ja, welchen?

Ruedi Schneider (SP): Ich verstehe die Sorge. Zürich soll zur Velostadt werden. Doch die Fussgänger stehen zuvorderst, weil sie verletzlich sind. Es braucht Rücksicht, eine bessere Signalisation und es sind Kontrollen nötig.

Michael Schmid (AL): Auch für Velofahrende ist es nicht lustig. Sie fahren nur deshalb in der Altstadt, weil es darum herum so gefährlich und unsicher ist. Deshalb sollte es Routen rundum geben.

Sibylle Kauer (Grüne): Früher hat man Mischzonen gefördert, also alle auf dem Trottoir. Nun hat es mehr Velos und ist das je länger je problematischer geworden. Nun trennt man wieder. In den Gassen der Altstadt ist das schwierig.

 

Zentrumslasten

Die Zürcher Innenstadt muss aufgrund ihrer Zentrumsfunktion viele Lasten tragen. Für die Anwohnenden bringt dies einiges Ungemach. Innenstädtische Quartiervereine beklagen insbesondere einen Vollzugsnotstand bei der Durchsetzung der Nachtruhe. Besteht hier politischer Handlungsbedarf?

Michael Schmid (FDP): Es gibt klare Regeln, aber die werden zu wenig durchgesetzt. Man sollte hier einen Schwerpunkt bilden seitens der Polizei. Geltendes Recht durchsetzen.

Luca Maggi (Grüne): Ich habe selber in einer Bar gearbeitet. Wenn eine Bar zu laut ist und die Polizei kommt und man fragt, ob die Musiklautstärke so in Ordnung sei, hört man, es dürfe sich einfach niemand mehr beschweren. Das ist nicht einfach. – Aber es gibt etwas anderes: Die Strasse als Ausgangsmeile mit Billigalkohol. Entweder man will diese Shops nicht mehr, dann muss man etwas machen. Nur einfach mehr Polizei zu fordern löst das Problem nicht. Am Utoquai hat man Kameras installiert und die Jungen sind auf die andere Seeseite ausgewichen.

Michael Schmid (AL): Manchmal hilft ein Telefon, ein Gespräch. Etwa bei zu früher Anlieferung am Morgen. Ein Gespräch funktioniert meistens gut. – Auf der Gasse, da haben Junge das Bedürfnis, zusammen zu sein und sich dem Rausch hinzugeben, so wie das üblich ist in unserer Gesellschaft und in allen Gesellschaften.

Sibylle Kauer (Grüne): Die Altstadt beinhaltet Wohnen und Ausgehen, beides, das sollte man sich bewusst sein. Wo überwiegend gewohnt wird, sollte es mehr Kontrollen geben.

Luca Maggi (Grüne): Es fehlen Freiräume. In Bars ist die Situation kontrollierbar. Wer sich die Bar nicht leisten kann, sucht sich im Aussenraum einen Platz. Etwa das Savera-Areal beim GZ Wollishofen, wo nun teure Wohnungen entstehen… – In der Altstadt gibt es keine solchen Freiräume mehr.

 

Angesichts der Lärmproblematik sowie von Verschmutzung, Littering und Vandalismus taucht immer wieder die Forderung auf, den nächtlichen Alkoholverkauf in den Innenstadtquartieren (24-Stunden-Shops) zu beschränken. Wie sehen Sie das?

Dominique Engelhart (FDP): Ich verstehe das Unbehagen, gerade wenn man als Frau nachts unterwegs ist. Das Problem auf die 24-Stunden-Shops zu schieben, ist billig. Aus liberaler Sicht ist das ein krasser Eingriff in die Gewerbefreiheit. Ich würde solch ein Verbot nicht unterstützen. Es ist vielmehr eine Frage der Durchsetzung der Regeln durch die Polizei. Man soll nicht diese Shops bestrafen.

Ruedi Schneider (SP): Es ist ein echtes Problem, die Emissionen wie Lärm, Littering etc. Man soll nicht einfach nur die Polizei schicken, das verschiebt das Problem anderswo hin. Man sollte die SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) einbeziehen.

Guy Krayenbühl (GLP): Die SIP vertreibt Jugendliche in allen Aussenquartieren. Die Polizei soll mit Fusspatrouillen präsent sein! Wieder zu Fuss patrouillieren, wie früher. Aber nicht wie Robocops daherkommen, sondern in einigermassen normalen Uniformen.

Nicolà Eisler (SP): Durch die Pandemie waren Junge vermehrt draussen. Meist gab es Kommunikationsprobleme. Sie sollen zum Seebecken, wo es Platz hat und weniger stört.

Michael Schmid (AL): 24-Stunden-Shops machen einen Unterschied. Sie verkaufen Alkohol später als andere zu einem höheren Preis. Das ist ihr Geschäftsmodell. Und man konsumiert den Alkohol dann in der Nähe des Ladens, irgendwo in der Altstadt.

Dominique Engelhart (FDP): Also wenn man den Alkohol im Denner kauft, ist es ok? Man würde die 24-Stunden-Shops benachteiligen.

Guy Krayenbühl (GLP): Wie war man in London doch froh, als es eine gewisse Liberalisierung gab! – Vor allem am Freitag und Samstag besteht ja das Problem, an anderen Tagen weniger. Diese Läden sind ja Lebensgrundlage für ganze Familien.

Sibylle Kauer (Grüne): Auf Gemeindeebene ist das Problem nicht lösbar. Das muss auf kantonaler oder gar Bundesebene gelöst werden. – Apropos ist heute ohnehin der Versand aus dem Onlinehandel überall hin möglich…

Luca Maggi (Grüne): Während eine Bar aufräumt vor dem Haus, übernehmen die 24-Stunden-Shops keine Verantwortung. Es gäbe gewisse Exzesse im Nachtleben nicht. Man sollte Alkohol nicht zu spät verkaufen. Ich will nicht für alles die Polizei holen, auch die SIP ist unangenehm. «Erlaubt ist, was nicht stört?» Nein: «Erlaubt ist, was nicht verboten ist!» In gewissen Gemeinden an der Goldküste war man froh, als letztes Jahr die Quaianlagen wieder geöffnet wurden. Plötzlich hatte man die eigenen Jugendlichen in der eigenen Gemeinde. Dort ist man froh um das Seebecken. Das alles staatlich zu unterbinden ist schwierig.

Michael Schmid (FDP): Letztlich ist es eine Minderheit, die sich nicht an die Regeln hält. Man muss die Regeln durchsetzen, dann gibt es eine Verbesserung.

 

Eine Petition der Zürcher Gastro-Branchenverbände fordert eine Weiterführung der Corona-bedingten kulanten Regelung für Boulevardcafés (über die Zeit der Pandemie hinaus). Dies stösst bei Anwohnenden auf Widerstand (Durchkommen erschwert, Kommerzialisierung des öffentlichen Raums etc.). Wie sehen Sie das?

Sibylle Kauer (Grüne): Ich stütze die Sicht der Anwohnenden. Diese Ausnahmeregelungen machen nachher meist keinen Sinn mehr. Es ist dann auch wieder schön, einen Platz zu haben ohne Konsumationszwang.

Michael Schmid (FDP): Dagegen gibt es ein Paradebeispiel, den Münsterhof. Der war erstmals so richtig belebt. Das sollte man dort weiterführen.

Sibylle Kauer (Grüne): Den Münsterhof mit dem Velo zu überqueren war schwierig. Überall waren Tische aufgestellt, über die Veloroute hinweg.

Guy Krayenbühl (GLP): Wir haben in dieser Stadt in den letzten Jahren ja so viel Ordnung geschaffen. Es war schön, wieder mal etwas Chaos!

Luca Maggi (Grüne): Dann soll das aber auch für die Subkultur gelten! Nicht nur für das ordentliche Gastgewerbe.

Michael Schmid (AL): An einzelnen Orten könnte man ausdehnen, aber der Platz ist generell eher knapp. Das zeigte sich am Beispiel des Cabarets Voltaire, das die schmale Spiegelgasse für die Bewirtung nutzen wollte. – Wenn es Platz hat, gibt es vielleicht Konflikte zwischen Velofahrenden und Fussgängern, aber sonst wäre es schön und man könnte auch da und dort noch einen Baum pflanzen.

 

Die Stadt Zürich tilgt in der Altstadt historische Hausnamen, die in der Rassismusdebatte anstossen. Wie würden Sie hier handeln?

Stephan Hegetschweiler (GLP): Das ist ein unschönes Kapitel, man soll sich erinnern. Ich verstehe, wenn man es entfernt. Aufarbeiten und überdecken, das finde ich gut.

Nicolà Eisler (SP): Vor 100 Jahren war das wohl ok, aber aus heutiger Sicht… Man soll aber nicht alles aus der heutigen moralischen Sicht beurteilen.

Guy Krayenbühl (GLP): Da bin ich gespannt, wie sie das mit der Aula des Schulhauses Hirschengraben machen wollen! Aufmerksam machen auf den Kontext: ja. Aber übermalen? Wichtiger ist sich zu erinnern.

Michael Schmid (FDP): Der Bildersturm während der Reformation vor 500 Jahren war unrühmlich. Damit soll man nicht wieder anfangen.

Reto Lüchinger (Die Mitte): Wenn etwas nicht mehr verwendbar ist, soll man es tilgen. Wenn es niemanden stört, lassen.

Luca Maggi (Grüne): Eine wissenschaftliche Gruppe hat eine Empfehlung abgegeben. Zeitzeugen soll man erhalten, aber in einen Kontext stellen. Wie ist es mit dem Mohr? Wissenschaftlich den Kontext abklären, in einen Kontext stellen.

Christoph Luchsinger (Die Mitte): Lenin, der hat einen Massenmord eingeleitet. Doch er ist Teil der Geschichte. Man soll das in einen historischen Kontext stellen.

Stephan Hegetschweiler (GLP): Aber einen Leninplatz gibt es hier ja nicht.

Michael Schmid (FDP): Das Wort Mohr gibt es in der Schweiz 700 Mal als Geschlechtsname im Telefonbuch. Es geht bei dieser Frage um eine partikulare Meinung, der man widersprechen kann.


Elmar Melliger

 

Zur Abbildung

Sie nahmen am Gespräch teil (von links nach rechts): Michael Schmid (FDP), Nicolà Eisler (SP), Ruedi Schneider (SP), Michael Schmid (AL), Dominique Engelhart (FDP), Guy Krayenbühl (GLP), Stephan Hegetschweiler (GLP), Christoph Luchsinger (Die Mitte), Luca Maggi (Grüne), Reto Lüchinger (Die Mitte), Sibylle Kauer (Grüne).     

Von SVP, PdA, EVP und Freie Liste konnte leider niemand teilnehmen.

Foto: EM