«Ein offenes Haus soll es sein!»

Mit Martin Wigger hat ein Mann des Theaters die Leitung des Kulturhauses Helferei an der Kirchgasse übernommen. Wie ist er in Zürich angekommen? Wie setzt er neue Schwerpunkte? Der Altstadt Kurier hat sich mit ihm getroffen.

Sie waren in verschiedenen Städten Deutschlands an Theatern tätig, zuletzt sechs Jahre in Basel. Was hat Sie nach Zürich gebracht?
Ich wollte meinem Leben eine neue Richtung geben – nach über zwanzig Jahren ununterbrochener Theater­arbeit. Nach Zürich wäre ich auch gekommen, wenn es das Angebot, die Helferei zu leiten, nicht gegeben hätte: um hier Theologie zu studieren.

Und wie sind Sie in ins Kulturhaus Helferei gekommen?
Die Stelle der Leitungsposition war ­öffentlich ausgeschrieben, ich habe mich darauf beworben und man hat mich genommen! Nun passt alles gut zueinander, die Helferei und das Studium. Und die Helferei ist ja gleich neben der Theologischen Fakultät.

Da haben Sie sich viel vorgenommen.
Ja, leben in Zürich, arbeiten in Zürich, studieren in Zürich. Es ist ein Rundummodell. Wobei ich das Pensum bei der Helferei für die Dauer des Studiums von hundert Prozent auf ein Dreiviertelpensum reduzieren kann. Und für das Studium muss ich nicht mehr Griechisch und Latein lernen, weil ich studierter Klassischer Philologe bin. Hebräisch allerdings schon, da bin ich dran.
Insgesamt ist es schon viel. Dazu kommt noch das Wohnen. Ich lebe seit Juli in Küsnacht in einer alten Villa, zusammen mit sieben Kunst- und Kulturschaffenden. Erstmals seit Jahrzehnten finde ich mich wieder in einer Wohngemeinschaft, wo man sich Küche und Bäder teilt. Also neuer Wohnort plus neue Wohnform.

Wie fühlt sich das alles an?
Es ist ein Lebensumbruch. Neue Mentalitäten, neue Inhalte. Es ist wahnsinnig bereichernd, herausfordernd, anstrengend. Viele neue Baustellen, das ist klar. Was ich sicher erreicht habe, ist eine komplette Veränderung des Lebens. (Lachend.)

Und wie lebt es sich, im Unterschied zu vorher, bei der Helferei statt beim Theater?
Zunächst vermisse ich schon die Theater-Energie. Doch die Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit in der Beschäftigung mit Themen, den Arbeitsdruck, den ständigen Druck, das Haus füllen zu müssen: Das vermisse ich nicht.

Was haben Sie denn stattdessen gewonnen?
Hier ist es mir zum ersten Mal möglich, mich mit einem Thema auseinanderzusetzen und erst dann die Form zu überlegen und zu wählen. Hier kann ich über ethische Themen nachdenken.

Wie möchten Sie das Haus führen?
Ich möchte das Haus weltzugewandt, offen gestalten, offen für alle. Um es mit den Worten des Dalai Lama zu sagen: Wir sollen uns nicht über Religion voneinander abgrenzen, sondern es ist die Aufgabe der Religion, ein ethisches Grundbewusstsein zu schaffen.

Wie soll das Haus nach Ihren Vorstellungen genutzt werden?
Das Haus soll ein Angebot für die ­ganze Stadt sein. Ulrich Zwingli und seine Frau, die hier wohnten, haben im 16. Jahrhundert das Haus geöffnet für Obdachlose und Kranke. Es war ja der Gedanke der Reformation, für die Menschen da zu sein. An diese Idee der «Helferei» möchte ich anknüpfen.

Welche Ideen oder konkrete Projekte gibt es bereits?
Alle drei Monate gehen wir mit einem neuen Thema nach aussen, mit einem jeweils speziellen Programmangebot. Ich sage «wir», denn ich bin ja nicht allein, es ist ein ganzes Team, bestehend aus Leuten in verschiedenen Funktionen, die gut zusammenarbeiten. Zudem gibt es ab Ende Januar jeden Mittwoch eine Bar, das ist der Hauptpunkt der Öffnung des Hauses.

Eine Bar?
Nun, es gibt dabei verschiedene Formate. Gemeinsam kochen, Diskussionsveranstaltungen, Performances, Kino, Bands, die auftreten. Die Bar ist geöffnet von 17 bis 22 Uhr, dazu gibt es selbstgebrautes Bier, das Helferei-Bier. Also eine Feierabend-Bar, immer mit einem Programmpunkt verbunden, der etwa um halb acht angesetzt ist.

Und wo wird diese Bar sein?
In der Kapelle. Die Bar wird noch etwas gestaltet, mit Sesseln und Sofas ausgestattet, um eine entsprechende Atmosphäre zu schaffen. Auch das Foyer soll übrigens umgestaltet und anders möbliert werden. Es soll ein­ladender wirken, man soll sich willkommener fühlen, wenn man das Haus betritt. Auch die Hol- und Bring-Bibliothek wird wieder eingerichtet. Und die Buchhandlung Hirslanden bestückt jeweils einen Büchertisch mit Büchern zu dem gerade aktuellen Thema.

Gibt es weitere Neuerungen?
Eine neue Website wollen wir machen… Doch ganz allgemein gesprochen: Die Helferei soll eine Plattform sein für andere Institutionen. Ich setze auf Vernetzung. So wird im März das Theater Neumarkt im Rahmen eines Festivals zu Gast sein, auch gibt es ein Gastspiel aus Berlin zum Thema Christentum und Islam, das wir zusammen mit dem Zentrum Karl der Grosse in der Kapelle veranstalten.

Und konkrete Programmpunkte?
Neben den wechselnden Themen in der Helferei-Bar gibt es viele neue konkrete Formate: so zum Beispiel im Januar und Februar die Reihe «Helfen 1 – 3», mit Gästen wie dem bekannten Schweizer Kultautor und Fluchthilfe-Akteur Thomas Meyer am 21. Januar, den Ernährungsexperten Fausta Borsani und Thomas Gröbly am 4. Feb­ruar oder dem Schweizer Soziologen Ueli Mäder zum Thema Geld am 18. Februar. Die Schauspieler Cathrin Störmer und Andreas Storm zeigen in «Worst Case Szenarios» am 9. Februar ein unterhaltsames Programm über alles, was im Leben den «schlimms­ten Fall» bedeutet. Es gibt mit mir das neue Format Zwingli-Talk, mit allerlei Gästen, das erste Mal am 25. Februar. Und mit der Regisseurin Barbara ­Weber, die ab diesem Jahr auch Künstlerische Beraterin für das stadtweite Festival «500 Jahre Reformation Zürich» ist, kochen wir am 30. Januar ­unter dem Titel «Patentrezept» in der tollen neuen Helferei-Küche!

Was für ein Publikum erwarten Sie in der Helferei?
Ich möchte auf jeden Fall das bisherige treue Helferei-Publikum gewinnen, andererseits würde ich mich auch freuen, wenn jüngere Menschen den Zugang in die Helferei fänden. Denn dort sehe ich noch Nachholbedarf, gerade unter dem Aspekt einer ethischen Themensetzung, die ja auch für ein jüngeres Publikum inte­ressant sein sollte.

Ein Wort zum Schluss?
Wir wollen das Haus neu prägen. Es gibt einen Neustart in der Helferei. Und es soll auch ein Kulturhaus fürs Quartier sein.

Interview: Elmar Melliger

Zur Person
Martin Wigger (1964) stammt aus Berlin. Studium der Altertumswissenschaften (Klassische Philologie, Griechisch, Latein) in Marburg, Berlin und Hamburg. Aufbaustudium für Dramaturgie an der Hochschule der Künste in Berlin. Seither an verschiedenen Theatern tätig: Dramaturgie-Assistenz in München, vier Jahre Dramaturgie in Tübingen, anschliessend acht Jahre Staatsschauspiel Dresden als künstlerischer Leiter eines Spielorts. Es folgten drei Jahre in Jena als Leiter und Chefdramaturg. Zuletzt drei Jahre in Basel als Chefdramaturg und drei Jahre als Co-Schauspielleiter.
Er leitet seit September 2015 das Kulturhaus Helferei. Daneben studiert er Theologie an der Uni Zürich. Ausserdem hat er einen Lehrauftrag an der Berner Hochschule der Künste.
EM