Bei Ruth und Ruedi Frei

Bild zum Artikel

Der Hof hinter der Kirchgasse 31 ist lang und schmal. Bunte Farben der Topfpflanzen ziehen den Blick auf sich. Zwischen den alten gepflegten Mauern und der langen Eibenhecke fällt der schöne antike Naturpflasterstein-Boden auf. Ruth Frei hat fast ihr ganzes Leben hier verbracht. Ihr Grossvater hatte das 1296 erstmals erwähnte Haus «zum Wolkenstein» erworben. Das Hinterhaus wurde 1831 erstellt und vermutlich als Waschhaus benützt. 1930 zog im linken Flügel ein Ehepaar ein und lebte darin vierzig Jahre, ohne Bad und ohne Küche.
Heute blühen Geranien in einem kräftigen Rosaton und Lobelien auf den Fenstersimsen. Über die Eibenhecke, die eine grüne Mauer zum Nachbargrundstück hin bildet, kriechen Ranken von wildem Wein, wie von einem Künstler als Ornament gemalt. Davor reiht sich ein Topf an den andern: leuchtend rote und weisse Fleissige Lieschen, Petunien in verschiedenen Blautönen, dicht blühende Margeriten und eine weisse Hortensie. Am grossen Oleander öffnen sich aus roten Knospen unzählige weisse kleine Sterne. Der Flieder hat wohl im späten Frühling im Hof seinen süssen Duft verströmt. Efeu und ein mächtiger Farn zieren eine dunklere Ecke. Auf dem Balkon von Ruth und Ruedi Frei umspielt das Grün in den vom Alter schön patinierten Kistchen das Geländer. Jahr für Jahr wird auch die Fassade zur Kirchgasse hin mit den schönsten Geranien geschmückt.
Da, wo jetzt Frau Széchényi, ungarische Gräfin aus der Esterhazy-Dynastie, Kunst vertreibt, eröffnete Kurt Guggenheim sein Antiquariat, welches er während etwa vier Jahren betrieb. Hier schaffte er 1938 den Durchbruch als Schriftsteller. Anfänglich sei es ihm öfters nicht möglich gewesen, die Miete pünktlich zu begleichen, weiss Ruth Frei, die noch alle alten Mietverträge bis zurück ins Jahr 1923 besitzt.
Ruth und Ruedi Frei offerierten an diesem milden Abend des 30. Juni einen wunderbaren Apéro, und den gut zwanzig Gartenschau-Gästen fiel es offensichtlich schwer, sich später vom lauschigen Hof zu verabschieden.

Christina Zehntner