Kein Ort. Nirgends

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Schwere Zeiten, nicht nur für Kulinarier/innen, sondern für alle. Man vermisst ja nicht nur das kollegiale Feierabendbier, den Kaffee mit der Freundin in der Bibliothek beim Büchertauschen, den Apéro mit dem neuen Kollegen und das zweisame Diner in der klandestinsten Ecke seines Lieblingslokals. Wo soll man sich in Corona-Zeiten denn noch verabreden? – Ein Rückblick zur Situation der Gastronomie zu Corona- und zu früheren Zeiten.

Man bräuchte ja nicht gleich die literarische Hochprominenz zu bemühen. Christa Wolf jedoch liess in ihrem Werk «Kein Ort. Nirgends», erschienen 1979, für die Dichterin Karoline von Günderode (1780-1806) und ihren Kollegen Heinrich von Kleist (1777-1811) ein fiktives Rendez-vous arrangieren. Literarisch lässt sich so etwas allemal machen.
Doch wie kommt man in Zürich zusammen, wenn das «Bauschänzli» ebenso zu ist wie das Arboretum, die «Bodega», die Seepromenade, die «Weisse Rose», das Hotel Storchen? Einfach alles zu, es sei denn, man miete sich als Hausgast ein.

Zürichs erste Beiz war eine Taverne
Im Zentrum des heutigen Zürich, auf dem Lindenhof, gab es eine kleine keltische Siedlung. Etwa 15 v. Chr. rückten die Römer an. Sie eröffneten eine Zollstation, eine Therme und – come no! – eine Taverne. Die römische Siedlung zählte ungefähr 300 ansässige Personen. Durchreisende Gäste waren Händler, Kuriere, Beamte und anderswo stationierte Legionäre. Ab dem 5. Jahrhundert begann das römische Reich zu zerfallen. Raststätten und Tavernen verschwanden. Doch die neuen christlichen Pilger brauchten neue Herbergen. Zürich war seit dem späteren 9. Jahrhundert ein bedeutender Wallfahrtsort, wo unseren Stadtheiligen Felix und Regula  gehuldigt wurde. Zürich war auch eine Zwischenetappe für die Pilgerreise nach Einsiedeln, die weiterführte nach Biberbrugg und zum Gebirge Katzenstrick. Die eingesessenen Einsiedler nannten folglich die vom Berge kommenden Pilger «Katzenstricker». Also nichts mit «zieh am Büsi»!

Wichtige städtische Infrastruktur
Um auf Zürich zurückzukommen: Hier hat es in der Nähe des Lindenhofs sogar schon eine Beiz gegeben, bevor die Römer gekommen sind. Zürich zählte damals schon gegen 300 Bewohnerinnen und Bewohner. Die Römer schleppten dann, genau genommen, noch die Wellness ein in Form einer Therme, und natürlich nach wie vor mit einer Taverne.
Zeitsprung ins Jahr 1336: Seit diesem Jahr war Zürich eine Stadt der Zünfte und damit auch der Zunfthäuser, in denen sich die Räte und Meister abends zu Debatte und Umtrunk trafen. Der frühere Staatsarchivar Otto Sigg, Experte für Hexenprozesse und Zunftwesen, berichtet (in der Festschrift «650 Jahre Zürcher Zünfte», 1986) bildhaft, wie die Zunfthäuser zur selbstverständlichen Infrastruktur des alten Zürich gehörten: «Für 1629 haben wir gross angelegte Untersuchungen über unkorrekte Wahlen auf der Zunft zur Waag überliefert, als zur Beeinflussung Zechen im Storchen beglichen wurden. (…) Zünfter, die bei der Wahl (des Zunftmeisters, Red.) ‹practiciert, auch sonst drufhin vergebens geessen und trunken› haben, fasste man hart an. Elf von ihnen wurden für drei Tage und drei Nächte in den neuen Turm und in den Wellenberg gelegt, und zwar sinnigerweise bei Wasser und Brot. Den Verwandten blieb dabei streng untersagt, ihnen Wein und anderes zu bringen.» Die erste urkundlich erwähnte Wirtschaft in Zürich befinde sich übrigens in Stadelhofen – noch ausserhalb der Stadtmauer. Diese Ur-Beiz besitzt das Tavernenrecht seit dem frühen 13. Jahrhundert.
Schon die alten Zürcher wussten, an welcher Stelle man die Mitbürger am empfindlichsten trifft. Nach dem Lockdown wissen es wir neuen Zürcher nun auch! Also: Macht hoch die Tür! Aber immer mit dem vorgeschriebenen Abstand. Und vor- und nachher die Hände waschen!

Esther Scheidegger