Der Legendäre

Neulich jährte sich der Todestag von Etienne von Graffenried, oder Etienne de Graffenried, wie er sich selbst gern nannte, zum zwanzigsten Mal. Aus diesem traurigen Anlass zeigte Sämi Scherrer, langjähriger Freund, Begleiter und Mitarbeiter von Etienne seine Videodokumentation über diesen aussergewöhnlichen Zeitgenossen. «Etienne de, der Legendäre, 1948-2002», nennt Sämi Scherrer seinen Film und trifft damit punktgenau ins Schwarze. Denn so etwas wie eine Legende war Etienne seiner Lebzeiten durchaus – ein Original, hätte man früher gesagt. Ein Mann mit so viel Talent in vielerlei Hinsicht, dass es Felix schwer fällt, dies einzuordnen.
Etienne war Schauspieler. Wer seine grandiosen Theater-Produktionen wie «On/Off» oder «Deux» gesehen hat, wird diese unmöglich vergessen können. Er war auch bildender Künstler. Felix erinnert sich an ein Werk aus platt gewalzten Ölfässern, die er zur Zeit der grossen Ölkrise zu einem Kirchenkreuz formte.
Nie sah man ihn ohne seinen Sportsack, der wohl ursprünglich einmal von roter Farbe war, mit der Zeit jedoch farblich undefinierbar wurde. Über dessen Inhalt kann allerdings nur gerätselt werden, denn Felix kann sich kaum vorstellen, dass Etienne je jemandem Einsicht gewährte. Diesen Sportsack hat Etienne einst künstlerisch nachgebaut: aus Blei, Drahtseilen und einem blechernen Serviertablett.
Etienne war nicht nur Schauspieler, sondern auch leidenschaftlicher Spieler. Er jasste gerne – Pandur war sein Lieblingsspiel. Wobei Felix (der wie vor einiger Zeit an dieser Stelle erwähnt ein wahrer Jass-Banause ist) des Öfteren munkeln hörte, Etienne nehme es mit den Jassregeln nicht immer allzu genau.
Seine zweite Passion als Spieler galt dem Pétanque. Als ungewählter, aber unangefochtener Präsident des bettäglichen Pétanque-Turniers auf dem Lindenhof regierte er zeitlebens mit exemplarischer Strenge. Wie sich diese auswirkte, als einst plötzlich drei Teams im Final standen, entzieht sich Felixens Memoire.
Etienne war ein vielseitiger Mensch, einer mit Lust zu spielerischer Anarchie, ein ausufernder Fasnächtler, dem nichts heilig war, aber auch ein Mann mit einem Hang zur Selbstzerstörung. Masshalten kam für ihn nicht in die Tüte, wie er das einmal formulierte. Als ihn einst ein Freund von Felix der Altersmilde bezichtigte, wurde Etienne fuchsteufelswild, rieb sich den Hut auf dem spärlichen Haar und begrub den vermeintlichen Frevler unter einer Barrage von Schimpfwörtern.
Felix und die Unzähligen, die Sämi Scherrers Film sehen konnten, sind Sämi äusserst dankbar. Legenden sind zu pflegen und am Leben zu halten. Nur so gehen Unvergessene nicht vergessen. Etienne, Felix zieht seinen Hut. Mögest du weiterhin in Frieden ruhen.

Felix