Alles vom offenen Feuer

Bild zum Artikel

Nach einer Umbauzeit von fast zwei Jahren ist das zentral gelegene Hotel «Seidenhof» wieder offen. Integriert ist das Restaurant «Enja», mit einem verwunschenen Garten, den der Rapperswiler Star-Begrüner Enzo Enea hegt und pflegt. Ein Paradies, alle Tage offen, ausser am Sonntag.

Das verschwiegene Paradies liegt fünf Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, buchstäblich «i de Mitti vo de City». Susanne Orelli (1845-1939) würde «ihr» neues Restaurant gefallen! Trotz der verführerischen Weinkarte. Susanne Orelli gründete 1894 zusammen mit 14 anderen für vernünftige Lebensführung und gegen den Alkoholismus engagierten Zürcherinnen den «Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl», ab 1910 dann «Zürcher Frauenverein für alkoholfreie Wirtschaften» genannt. 1902 wurde mit dem «Seidenhof» ein alkoholfreies Stadthotel eröffnet! Heute ist es ein Konzern; die Sorell-Hotels, zu denen der Seidenhof gehört. Die ZFV-Betriebe beschäftigen rund 2500 Mitarbeitende und sind auch stark engagiert in Gemeinschaftsgastronomie in Firmen, Universitäten usw., mit Restaurants in Museums-, Trend-
und Ausflugsbetrieben, Eventcatering, Stadion- und Messeverpflegung.
Der «Seidenhof» war in den 1950er-Jahren für uns Kinder einer Fluntermer Grossfamilie ein verlockender Treffpunkt: Es gab Diplomats, helle und dunkle. Alkohol brauchten wir damals noch nicht, und Thomas Manns «Buddenbrocks» kannten wir auch noch nicht. Diplomats heissen dort – und nur dort – familiär «Plettenpudding«. Heute führt Matthias Ramer das Boutique Hotel Seidenhof, im «Enja» ist Jessica Maggetti Küchenchefin und Benjamin Schmid Gastgeber.

Gegenüber vom «Seidenhof»
Gegenüber von ihrem alten Seidenhof liessen die legendären Altzürcher Seidenmeister, die Brüder David (1548-1612) und Heinrich Werdmüller (1554-1627) 1606 auf dem späteren Jelmoli-Areal acht weitere Seidenhöfe erbauen. Diese wurden zwischen 1896 und 1955 nach und nach abgerissen. Am Anfang der Warenhausgeschichte stand der umtriebige Italiener Giovanni Pietro Guglielmoli (1794-1860), der sich in Zürich Peter Jelmoli nannte. Die Geschichte der einst florierenden Zürcher Seidenindustrie wird derzeit in einem Forschungsprojekt der Hochschule Luzern unter Leitung des aus der bekannten Seidenfamilie stammenden Historikers Alexis Schwarzenbach aufwendig dokumentiert («Silk History since 1800»). Jammerschade, dass auch die vergleichsweise junge Traditionsfirma Fabric Frontline bald Geschichte ist…

Feuer und Flamme
«Enja» heisst das neue Lokal im Seidenhof. Das bedeutet auf keltisch Flamme, Hitze, Glut. Gekocht und grilliert wird tatsächlich auf offenem Feuer. Auch architektonisch eine  Augenweide! Holzscheite werden angekarrt. Das Brennholz stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Zürcher Wäldern, angeliefert wird es vom «Joblade», einem zürcherischen Arbeitsintegrationsprogramm.
Den Gästen wird zum Auftakt feines und erst noch gesundes Josty-Öl und Salz vorgesetzt. – Sogar wer Blumenkohl seit Kindertagen eigentlich nicht mag («wääk, grusig»), sollte ihn probieren (Fr. 34.–). Er wird veredelt durch Zitronenjoghurt, Hummus und Apfelstückli. Auf dem Grill landen kann auch eine Pouletbrust (Fr. 39.–), das 300-grämmige Schweinskotelett mit Schwarte (Fr. 44.–) oder das Kalbskotelett (200 Gramm für Fr. 54.–, 300 Gramm für Fr. 68.–). Der Fleischlieferant ist die Metzgerei Ziegler. Grilliert wird auch Kopfsalat, der mit einem halbflüssigen Enja-Ei serviert wird (Fr. 19.–). Oder Burrata mit Pfirsich und Brunnenkresse (Fr. 23.–). Züri-Fisch (Fr. 45.–) gibt es nach Ansage, je nachdem, was dem Zürcher Berufsfischer Adrian Gerny und seinem Team in die Netze gegangen ist.
Wir delektierten uns an der Emmentaler Jumi-Käsevariation, mit Honigsenf, Baumnüssen und Dörraprikosen (Fr. 22.–). Dazu passte bestens das Turbinen-Bräu. Und, lokalpatriotisch, ein Glas Räuschling vom Höngger Rebberg Chillesteig (Fr. 7.–/48.–). Die interessante, aber nicht überbordende Weinkarte startet übrigens – eine Hommage an Susanne Orelli? – mit alkoholfreien Tropfen.

Überraschung im Garten
Besonders angenehm sitzt man im romantisch begrünten Innenhof. Er ist auch nachmittags beliebt. Noch nicht probiert haben wir den – natürlich grillierten – Markknochen (Fr. 22.–/16.–). Nicht grilliert ist eine originelle Kombination: Vitello Trotata, fein geschnittenes Kalbfleisch mit Räucherforellen-Sauce (Fr. 28.–/34.–). Rundum en Guete!

Esther Scheidegger


Restaurant «Enja» im Boutique Hotel Seidenhof, Sihlstrasse 9, 8001 Zürich, Tel. 044 228 75 17,
www.restaurant-enja.ch.