Fischbauch und Flugdach

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Der 2020 erschienene «Architekturführer Zürich» stellt 1200 Objekte vor, 250 allein im Kreis 1. Ein Spaziergang vom Stadelhofen in die City und zur Bahnhofstrasse streift einige nach 1945 entstandene Neubauten.

Im Mai 1990 hat der von Santiago Calatrava erweiterte Bahnhof Stadelhofen seinen Betrieb aufgenommen. Seither herrscht zu Stosszeiten auf den Perrons, Treppen und im «Fischbauch», der unterirdischen Ladenstrasse aus Beton, ein regelrechtes Gewusel.

Die städtebauliche und verkehrspolitische Bedeutung dieses S-Bahn-Knotenpunkts ist überragend. «Besonders schön wird in der Unterführung das ‹Unterirdische› zu einem Erlebnismoment gestaltet», schrieb damals die Jury der «Auszeichnungen für gute Bauten der Stadt Zürich», welche die Stadt seit 1945 vergibt und jeweils mit einer Bronzetafel versieht. Diejenige dieses Bauwerks befindet sich beim Lift zwischen den Gleisen 2 und 3.

 

Hochhäuser in der City

Über das Bellevue und den Münsterhof erreichen wir die City. Nach dem Paradeplatz schwenken wir rechts in die Talstrasse ein. Dieses Stadtgebiet hat sich ab Ende der 1920er-Jahre zum Geschäftsviertel entwickelt. Barocke Bürgerhäuser mussten Geschäftshäusern weichen, Hochhäuser wuchsen in den Himmel. Das erste, das neungeschossige Bürohaus zur Bastei an der Bärengasse 29, wurde 1955 nach Plänen von Werner Stücheli gebaut. Zusammen mit dem angegliederten Apartmenthaus liegt es am Schanzengraben. Seine längsseitigen spiegelnden Fassaden aus dunklem Glas und mit aluminiumgerahmten Fenstern sind leicht geknickt, was der Stahlkonstruktion Leichtigkeit verleiht. Seit 2014 steht der von der Stadt ausgezeichnete Bau unter Denkmalschutz. – Die Bastei bildete den Auftakt zu weiteren Hochhäusern: An der Talstrasse 61/65 steht das um 1960 von Werner Stücheli und René Herter entworfene zwölfgeschossige Hochhaus zur Schanze mit alternierenden Fensterbändern. Zehn Jahre jünger ist Hans von Meyenburgs SIA-Hochhaus an der Selnaustrasse 16, das Romero & Schaefle 2008 gesamtsaniert haben. Das 42 Meter hohe Gebäude überrascht mit spiegelnden Fenstern, die geschossweise abwechselnd nach innen und aussen gekippt sind. Klotzig wirkt dagegen das in den 1980er-Jahren von Patvag Technik konzipierte Hochhaus zur Schanzenbrücke an der Stockerstrasse 64.

Zurück auf der Talstrasse erreichen wir, vorbei am elegant geschwungenen Büro- und Geschäftshaus «City» von Ernst Schindler, die Sihlporte. Beim Hochhaus City von Heinrich Oeschger und Karl Knell jun. wandert der Blick vorbei an der Türler-Uhr hinauf zum scheinbar schwebenden Flugdach. Im Innern des 1958 erstellten Gebäudes überraschen die über alle Geschosse reichende Wendeltreppe und der schwarzweisse Kunststeinboden. Elegante Treppenhäuser finden sich auch in den Geschäftshäusern zum Talgarten am Talacker 42 (1953) von Roland Rohn und zum Sihlgarten (1948) am Talacker 41 von Karl Egender.

 

Metall und Glas

Bei der Bahnhofstrasse am Hauptbahnhof setzt sich der Spaziergang fort. Anstelle des Linthescher-Schulhauses entstand hier in den 1960er-Jahren Karl Egenders Warenhaus Globus. Zum 30 Jahre jüngeren Modehaus Feldpausch (PKZ Women) von Theo Hotz gleich vis-à-vis lockt ein LED-Screen mit gehenden Menschen. Ein Zylinder verbindet den Hauptbau mit dem Flügel an der Beatengasse. – Eine geschwungene bronzene Fassade ist das Merkmal des Geschäftshauses Modissa von Werner Gantenbein an der Bahnhofstrasse 74. Gebaut wurde es 1975. Ein paar Schritte weiter senden die fünf Kugeln des Bally-Hauses im Tagesrhythmus wechselnde Wörter an die Öffentlichkeit. Max E. Haefeli, Werner M. Moser und Rudolf Steiger haben das Gebäude mit den vorkragenden vertikalen Betonrippen in den 1960er-Jahren entworfen. Das Omega-Haus Les Ambassadeurs von Paul Steger gleich daneben fällt auf mit einer grünen Metallfassade, die allerdings eher an Kunststoff erinnert. Es stammt von 1971. Für viele Geschäftshäuser in Zürich zum Vorbild wurde das Glashaus Waltisbühl, besser bekannt als PKZ-Haus, an der Bahnhofstrasse 46. Rudolf Zürcher ist der Urheber dieser von der Stadt ausgezeichneten Aluminium-Glas-Architektur von 1957.

Hier endet der Rundgang. Viele architekturhistorisch spannende Informationen auch über weitere Gebäude sind unerwähnt geblieben.

Wer Genaueres wissen will, nimmt den Architekturführer mit. Er wiegt 1500 Gramm.

 

Karl Wüst

 

Werner Huber: Architekturführer Zürich, Gebäude, Freiraum, Infrastruktur. Edition Hochparterre. Zürich 2020. 78 Franken.