Der «Brunnenturm» wird aufgefrischt

Derzeit wird der «Brunnenturm» mit dem zugehörigen «Palas» an der Oberen Zäune 26 am Napfplatz sanft aufgefrischt. Das Ensemble stammt aus dem 13. Jahrhundert und hat eine wechselvolle Geschichte. Im Zug der Renovation ist eine reizvolle Wandmalerei entdeckt worden.

Zunächst ist es etwas verwirrend: Befindet man sich nun im eigentlichen Turm oder im angrenzenden zugehörigen «Palas»? Betritt man das Ensemble durch das herrschaftliche Portal mit der gedrehten hölzernen Halbsäule in der Mitte, steht man im geräumigen Entrée des «Palas». Dann wird klar: Nach links geht es in den mittelalterlichen Wohnturm, den «Brunnenturm», der mit nahezu quadratischer Grundfläche von 10 Meter Seitenlänge auf vier Stockwerken je einen einzigen grossen Raum aufweist. Erschlossen war der Turm ursprünglich durch eine hölzerne Treppe im Freien. Die Mauerstärke beträgt im Erdgeschoss über 1,3 Meter und verjüngt sich nach oben auf knapp 1 Meter. Dagegen ist die Mauer zum zugehörigen Nachbarhaus hin etwas weniger mächtig, von 1,2 bis 0,6 Meter. Was darauf schliessen lässt, dass das an den Turm angrenzende herrschaftliche Haus bereits zur Bauzeit des Turms um 1250 geplant und unmittelbar danach erbaut worden ist. In diesem «Palas» genannten Teil des Ensembles befanden sich die repräsentativen Räume, während der Wohnturm eher den Charakter einer wehrhaften Burg aufwies, in die man sich hätte zurückziehen können. Diese repräsentativen Räume wurden über die Jahrhunderte tendenziell verkleinert, unterteilt.

Siebenhundertjährige Geschichte
Den Namen «Brunnenturm» trägt der stattliche mittelalterliche Turm erst seit dem 16. Jahrhundert. Um 1250 erbaut, gehörte der Wohnturm zunächst lombardischen Geldausleihern, weshalb er «Gawerschen-» oder «Lamparterturm» genannt wurde. 1429 erfolgte der Verkauf an die Familie Escher vom Luchs. Dieses Geschlecht blieb Besitzer bis 1810 und das Bauwerk trug deshalb 1429 bis ca. 1550 den Namen «Escherturm». Den heutigen Namen erhielt der Turm durch den Brunnen, der direkt vor dem Turm war und heute in erneuerter Form weiter unten auf dem Napfplatz steht. Auf dem Murerplan genannten Stadtprospekt von Jos. Murer von 1576 ist der 1568 direkt an der Hausmauer errichtete Brunnen gut erkennbar.
Nach dem Verkauf durch die Familie Escher im Jahr 1810 befand sich in diesem Gebäudekomplex zunächst eine Privatschule, 1819 folgte die Blindenanstalt der Zürcher Hülfsgesellschaft, 1826 diente es als Blinden- und Taubstummenanstalt, wie die Inschrift auf der Fassade festhält. 1838 war hier die Armenschule der Hülfsgesellschaft. Im Jahr 1857 ging das Haus an die Stadt über. Sodann diente es als städtische Gemeindeschule und nach einem Umbau ab 1879 als Volks- und Gewerbeschule, Wohn- und Geschäftshaus. Ab 1971 war hier für Jahrzehnte das Erwachsenenbildungszentrum EBZ eingemietet, ebenso ein Teil des Statistischen Amtes der Stadt Zürich, zuletzt dienten die Räumlichkeiten als Dépendance des im Umbau befindlichen städtischen Kinderhauses Artergut. Demnächst wird das Haus Mitarbeitende der Stadtverwaltung aufnehmen, wenn das Amtshaus Walche renoviert wird.

Haus im Wandel
Felix Wyss von der Firma ABKW begleitet die Bauuntersuchungen im Auftrag der Archäologie der Stadt Zürich. Er kennt die Geschichte der Altstadt und vieler Liegenschaften durch seine langjährige berufliche Erfahrung. Er führt durch das Haus, in dem Handwerker an der Arbeit sind.
Der «Brunnenturm» steht auf einer Anhöhe, auf einem Moränenhügel. Davon zeugt die früher Steingasse genannte Spiegelgasse: Direkt unter den Pflastersteinen stösst man hier unter Umständen auf grosse Findlinge. Ursprünglich dominant frei stehend und mit 17 Meter Höhe alles überragend, folgte an der Spiegelgasse angrenzend das Haus «Unterer Brunnenturm», ebenso erhielt der «Palas» an der Oberen Zäune einen Anbau, das «Zipfelhaus».
Das Haus ist heute ein Stilgemisch, als Resultat stetigen Wandels. Während die Eckquadersteine das Mittelalter spürbar machen, ist aussen sichtbar noch ein zugemauertes gotisches Spitzbogenfenster erhalten, während die übrige Befensterung aus dem 19., im Erdgeschoss aus dem 20. Jahrhundert stammt. Das hohe Erdgeschoss des Turms diente früher als Magazin, Werkstätte, auch als Laden.
1680 erfolgte ein grosser Umbau des Ensembles im Renaissance-Stil. Damals wurde hofseitig ein Anbau angefügt, der das Treppenhaus und Aborte aufnahm, im 20. Jahrhundert wurde ein Lift eingebaut. Ebenfalls 1680 wurde das dritte Obergeschoss, der hölzerne Dachraum des Turms, in Stein gebaut und ein neuer Dachstuhl errichtet. Von dort gelangt man auf ein kleine Dachzinne auf dem «Palas». Der Ausblick über die Stadt ist atemberaubend schön.

Eine Entdeckung
Das erste Obergeschoss, das «Piano nobile», war herrschaftlich angelegt. Davon zeugen zwei mächtige Eichenstützen in der Mitte des ursprünglich vermutlich viel grösseren, heute unterteilten Raumes im «Palas». Insbesondere die diversen Schulnutzungen im 19. und 20. Jahrhundert hatten veränderte Raumeinteilungen zur Folge.
Bei den aktuellen Bauarbeiten geht es vorwiegend um eine «Pinselrenovation», wobei zwei im ersten Obergeschoss liegende spezielle Zimmer weitergehend renoviert werden, das sogenannte Stuckzimmer und das Täferzimmer. Das Täferzimmer liegt zum Napfplatz hin direkt über dem Portal und weist ein Reihenfenster auf: Fünf Fenster, aufgeteilt durch eine Sandsteinstütze, welche die Jahreszahl 1545 trägt und ein Steinmetzzeichen. Die Zimmerdecke weist wie die bis anhin glatt verkleideten Wände ein reich profiliertes Täfer auf, dessen Alter noch näher zu bestimmen ist.
In der einen Ecke ist bei den Ausbesserungsarbeiten des Täfers ein Wandgemälde im Stil der Renaissance zum Vorschein gekommen, eine Seccomalerei. Der Restaurator Kurt Greber hat die Malerei gesichert, Fehlstellen retouchiert, aber keine Ergänzungen gemacht. Diese Malerei bleibt im Täfer integriert und wird geschützt, indem sich das Täfer an dieser Stelle wie eine Schranktür öffnen und wieder verschliessen lässt.
Im oberen Drittel der Wand bis zur Decke reicht das etwa 1 Meter breite und 0,8 Meter hohe Bild. Es zeigt stilisierte Ranken, die aus der Ecke heraus diagonal verlaufen und in Früchten und Blüten enden. Darin sind zwei naturalistische, mit feinem Strich gemalte Vögel abgebildet. Der Laie glaubt einen Buchfink und eine Blaumeise zu erkennen. Die Vogelarten und das Alter der Malerei, das auf die Mitte des 16. Jahrhunderts geschätzt wird, sind noch Gegenstand weiterer Abklärungen.
Eines lässt sich heute schon sagen: Die Rankenmalerei mit den Früchten und den beiden Vögelchen ist ein wahres Schmuckstück und löst bei den meisten Betrachterinnen und Betrachtern helles Entzücken aus.

Elmar Melliger