Unruhige Nächte

Immer in der Freitag- und Samstagnacht versammeln sich Jugendliche und junge Erwachsene auf dem Zähringer- und dem Predigerplatz. Zum Leidwesen der Nachbarschaft, die um die Nachtruhe gebracht wird.

An sich ein lauschiges Plätzchen, vor der Predigerkirche und um die Ecke, wo es hochgeht zum Seilergraben. Würde man meinen. Doch immer am Freitag- und Samstagabend wiederholt sich das gleiche Schauspiel. Jugendliche lassen sich vor dem Kircheneingang nieder, auf den Bänken auf dem Platz davor und um die Ecke, auf dem Predigerplatz. Sie haben ihre alkoholischen Getränke dabei und trinken sich sozusagen warm. «Vorglühen», nennt das Jan van’t Veer, Kreischef 1 bei der Stadtpolizei. Das tun die Jugendlichen, damit sie schon etwas intus haben und in Stimmung sind, bevor sie in ein Lokal oder einen Club in der Nähe gehen. Dort müssen sie dann nur noch eines oder zwei der kostspieligen Getränke bestellen.
Später in der Nacht ist es für manche noch zu früh, um nach Hause zu gehen. Man besorgt sich in einem der bis um 2 oder 4 Uhr nachts geöffneten Shops, von denen es an der Niederdorfstrasse einige hat, weitere Alkoholika und lässt sich (erneut) nieder auf dem Platz bei der Predigerkirche. (Der Platz vor der Kirche heisst Zähringerplatz, seitlich der Kirche liegt der Predigerplatz.)
Nun wäre es für die Nachbarinnen und Nachbarn wohl erträglich, wenn sich das Ganze in den Abendstunden abspielen und dann enden würde. Doch die Realität sieht anders aus.
«Grauenhaft», entfährt es Lisbeth Rüegg, angesprochen auf die Verhältnisse an den Wochenenden. Zwar lebt sie seit fünfzig Jahren in der Altstadt, aber erst seit einem Jahr am Predigerplatz, wo sie sozusagen auf die Welt gekommen ist. Im Winter sei es noch eträglich, sagt sie. Aber in der wärmeren Jahreszeit seien vierzig bis fünfzig Jugendliche da, bei Regen noch fünfzehn bis zwanzig. Sie finden Schutz unter dem Vordach beim Kirchenportal. Ansonsten verteilen sie sich auf den Sitzbänken oder hocken davor auf dem Boden. Das Problem ist die laute Musik, die sie laufen lassen. «Es ist so laut, dass ich nicht fernsehen kann.» Sie behilft sich mit Oropax. Eine Hausnachbarin, in der Pflege tätig, hat sich im Sommer am Wochenende jeweils in den Nachtdienst einteilen lassen, um dem Ganzen zu entgehen. Lisbeth Rüegg habe selber noch nie der Polizei telefoniert, die übrigens im Sommer bis drei oder vier Mal pro Nacht vorbeikomme. Doch mit der SIP hat sie schon gesprochen, deren Mitarbeitende ebenfalls oft vorbeischauen.

Besuche von SIP und Polizei
Das betätigt Simon Weis, Abteilungsleiter bei der SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention), auf Anfrage: «Wir suchen den Bereich Prediger-/ Zähringerplatz und Spitalgasse regelmässig auf, er gehört zu den fixen Punkten auf unseren Patrouillenrouten. Wir suchen den Dialog mit den anwesenden Platznutzern und machen sie auf störendes Verhalten wie Lärm und Littering aufmerksam und appellieren an ein respektvolles Miteinander.» Der Kreischef Jan van’t Veer sagt zu den Kontrollen der Polizei: «Wir gehen da regelmässig hin. Bis 22, 23 Uhr halten sich die Platzbenutzer an die Anweisungen. Später spüren sie sich nicht mehr so.» Der Einfluss des konsumierten Alkohols. Es sei schon ein Problem, dass es diverse «24-Stunden-Kioske» gebe, die genau genommen nicht 24 Stunden geöffnet haben, aber doch bis um 2 oder am Wochenende bis um 4 Uhr. Gelegenheit genug, auch ohne weitsichtige Einkaufsplanung noch zu einer Flasche Hochprozentigem zu gelangen, wenn es noch zu früh für die Heimkehr und die Nacht noch jung ist.
Was die Polizei tun kann ausser zu mahnen, erklärt der Kreischef: «Es gibt die Möglichkeit der Wegweisung. Das heisst, es werden die Personalien aufgenommen und die betreffende Person darf ein gewisses Gebiet während 24 Stunden nicht mehr betreten. Zum anderen gibt es die Verzeigung. Das kommt mit den Gebühren des Polizeirichters auf mehrere hundert Franken zu stehen.» Andererseits gibt er zu bedenken, dass solche Lärmimmissionen halt die Schattenseiten der Liberalisierung der Öffnungszeiten und der 24-Stunden-Gesellschaft seien. Da werde Toleranz gefordert und manchmal strapaziert. Es sei halt auch ein Ausgehquartier. Sich im Freien aufzuhalten allein ist nicht verboten.

Wenig Wirkung
«Das Problem ist», sagt Heinz Bütler, ein weiterer Anwohner, «dass die Polizei oder die Mitarbeitenden der SIP mit den Leuten reden, die dann kurz die Musik leiser stellen und nach ein paar Minuten wieder aufdrehen. Oder es kommt eine neue Gruppe junger Leute, die vom Besuch nichts mitbekommen hat und los geht es bei denen.» Es hat wenig Wirkung.
Heinz Bütler ist 77-jährig und bereits am Predigerplatz geboren. In den letzten fünf Jahren sei es immer lauter und hemmungsloser geworden, so seine Beobachtung. Früher sei er noch runter gegangen und habe geredet. Heute spüre er manchmal eine solch aggressive Stimmung, dass er es mit der Angst zu tun bekäme. Von 23 bis 4 sei es laut, es habe auch schon bis 6 Uhr angedauert, am schlimmsten sei es zwischen 1 und 3 Uhr.
Er habe im Wohnzimmer gute Fenster durch Schallschutzfenster ersetzen lassen. Dennoch wechsle er jeweils das Zimmer zum Schlafen. Diese Bluetooth-Boxen sind sehr leistungsstark. «Das ist eine Einschränkung der Lebensqualität auf nicht annehmbare Weise.»

Littering und Urinieren
Er beklagt auch das Littering: Am Morgen danach liegen Flaschen und Abfälle herum, alles werde liegen gelassen, eine Müllhalde sei das. Auch das Pissen an die Kirchenmauer, in die Nischen, in denen am folgenden Tag wieder Kinder spielen, findet er haarsträubend.
Parkplätze aufzuheben fände er gar keine gute Idee: «Das verschlimmert die Sache, weil dann noch mehr Platz vorhanden ist, dann haben wir Zustände wie auf der Blatterwiese am See.» Er ist sich bewusst, dass man mit zunehmendem Alter lärmempfindlicher wird. Doch es sei objektiv lauter geworden, man könne sich von den Zuständen gern selber überzeugen. «Wenn im Sommer um 1 Uhr nachts ein paar Leute draussen noch palavern und dann irgendwann weiterziehen, liegt das in der Toleranz, da würde ich nichts sagen.»
Eine «enorme Zunahme der Lärmimmissionen» konstatiert auch Mario Beretta, der seit gut zwanzig Jahren am Predigerplatz wohnt. Er vermisst regelmässige Polizeipatrouillen zu Fuss, wie sie der Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat seit Jahren fordert. Er beschwert sich über die zu laute Musik und speziell auch über das Urinieren an die Kirchenmauer, das sei eine allgemeine Verwahrlosung. Er schätzt es auch so ein, dass es in den letzten fünf Jahren schlimmer geworden ist. «Eigentlich habe ich Sympathie dafür, dass sich die Jugendlichen irgendwo treffen können. Aber es soll besser integriert sein.»
Er selber zieht sich zum Schlafen bisweilen ins Arbeitszimmer zurück.

Ein Runder Tisch?
Gleich doppelt betroffen ist Catherine Roschi, die direkt gegenüber der Kirche wohnt: Sie arbeitet bei der Kirche als Sigristin. Sie kann die Aussagen anderer bestätigen: Es kann bis um 6 oder gar 7 Uhr dauern. Die Polizei kommt vorbei, doch bald kommen die nächsten Gruppen junger Leute. Sie stört sich am lauten Lachen, Kreischen, der Musik. – Mit dem Unterschied, dass sie am Morgen die Reste der «Sauerei» auch noch wegputzen muss, wobei die Angestellten des ERZ bereits grob gereinigt haben. Sie spritzt den Eingangsbereich mit dem Schlauch ab… Wenn sie früher dran ist und vor dem ERZ reinigt, kann sie einen 35-Liter-Sack füllen mit dem Abfall. Sie fände es gar nicht gut, die Parkplätze aufzuheben…
Was tun? Bis vor kurzem hat es einen Runden Tisch gegeben mit Fokus Hirschenplatz. Diesen mit Fokus Zähringer-/Predigerplatz und in neuer Zusammensetzung wieder aufzunehmen wäre wohl keine schlechte Idee. Die für die Einberufung zuständige Beauftragte für Quartiersicherheit beim Sicherheitsdepartement hat ihre Stelle gerade erst neu angetreten und muss sich zuerst einarbeiten.

Elmar Melliger