Von der Bibel zur Banknote

Orell Füssli kann auf eine sagenhaft lange Firmengeschichte zurückblicken. Die unglaubliche Geschichte begann vor einem halben Jahrtausend.

Dass dem Jahr 1519, an dessen Ereignisse wir uns heute, 500 Jahre später, noch immer erinnern, für Zürich eine besondere Bedeutung zukommt, kann nun mal nicht abgestritten werden: Nach Ulrich Zwinglis Amtsantritt als Leutpriester am Grossmünster am 1. Januar jenes Jahres gerät nun auch das Datum des 9. Novembers in den Fokus der Aufmerksamkeit, an dem der aus Bayern zugewanderte Buchdrucker Christoph Froschauer ins Zürcher Bürgerrecht aufgenommen wurde.
Die Etablierung Froschauers als Bürger Zürichs und die Erlangung seiner Stellung als erster offizieller Drucker der Stadt gelten als Geburtsdatum des heutigen Unternehmens Orell Füssli, das nun mit berechtigtem Stolz auf seine 500-jährige Geschichte zurückschaut unter dem Motto «Tradition und Innovation seit 1519». Leitmotivartig prägen diese beiden gegensätzlichen Begriffe über die Jahrhunderte hinweg die Entwicklung der Firma und führten sie während der erstaunlich langen Zeitspanne zu dem bis heute kontinuierlich anhaltenden Geschäftserfolg.
Mit dem respektvollen Beibehalten von Bewährtem, der gleichzeitigen Offenheit gegenüber aktuellen Geistesströmungen und drucktechnischer Neuerungen sowie der Flexibilität, sich wo nötig wirtschaftlichen Umstellungen anzupassen, gelang es Orell Füssli immer wieder, sich auch in Krisenzeiten zu behaupten.
Wesentliche Voraussetzung für dieses Gelingen bildete zudem der Grundsatz, sich stets auf die Kernkompetenz des Druckens zu konzentrieren und dieses, immer dem Anspruch höchster Qualität verpflichtet, mit konstanter Professionalität zu betreiben. Werte, die, wie Tradition und Innovation, ebenso zu den Markenzeichen von Orell Füsslis Unternehmenskultur zählen.

Repräsentative Festschrift
Davon zeugt auch die Festschrift mit dem Titel «500 Jahre Drucken», ein grosszügiges Jubiläumsgeschenk der Schweizerischen Nationalbank an die Firma, zu deren Teilhabern sie zählt. Der repräsentative Band bietet Einsicht in ein halbes Jahrtausend Druckereigeschichte. Der einleitende Beitrag, betitelt «500 Jahre Orell Füssli», überblickt die Entwicklung des Unternehmens von den bescheidenen Anfängen in Christoph Froschauers Offizin über die verschiedensten Ausbauschritte und Umstrukturierungen bis zur Einrichtung der spektakulären Sicherheitsdruckerei im 1923 bezogenen Firmensitz an der Dietzingerstrasse in Zürich Wiedikon.

Episoden aus Zwinglis Zeit
Zu dieser Geschichte gehören anekdotische Episoden wie das im März 1522 zur Fastenzeit mit Zwinglis Einverständnis in Froschauers Druckerei ausgerichtete Wurstessen, das die schwer arbeitenden Druckergesellen bei Laune halten sollte und als eine der Initialzündungen am Beginn der Zürcher Reformation steht. An der Geschichte beteiligt waren später ebenso aufgeschlossen denkende und risikobereit handelnde Persönlichkeiten aus den alteingesessenen Zürcher Familien Bodmer, Orelli, Füssli oder Gessner, die im 18. Jahrhundert mit ihren verlegerischen Grosstaten zu Zürichs internationalem Ansehen als Limmat-Athen beitrugen.
Im 19. und 20. Jahrhundert verhalfen unternehmerisch denkende Geschäftsführer der Firma zum dauerhaften Erfolg, indem sie die Möglichkeiten neuer Drucktechnologien erkannten und die Schritte vom herkömmlichen Druckereihandwerk in Richtung industrieller Produktion wagten. Schliesslich zog man sich in jüngerer Zeit, weitsichtig den veränderten Marktverhältnissen folgend, aus unrentabel gewordenen Geschäftsfeldern wie der Produktion von kleinen Geschäftsdrucksachen und Plastikkarten oder dem Verlegen von Zeitschriften zurück. Umso konzentrierter trieb man die Entwicklung des immer raffinierter werdenden Sicherheitsdrucks voran und etablierte sich in diesem Kernbereich zum weltweit anerkannten Spezialisten. Daneben wurde auch der Ausbau des Buchhandels mit mehreren Filialen in der Deutschschweiz und der Einstieg in den Online-Buchhandel vorangetrieben.

Gut verständliches Handbuch
Die nachfolgenden zehn Kapitel der Festschrift stellen in ausführlichen Texten und sorgfältig ausgewählten Bildern die vielfältigen Hauptprodukte der Firma Orell Füssli von einst und jetzt vor: Wertpapiere, Banknoten, Plastikkarten, Plakate, Ansichtskarten, Landkarten, Schweizer Pass, Bücher, Zeitschriften und Geschäftsdrucksachen und ihre Herstellung werden von ausgewiesenen Fachleuten detailliert beschrieben. Jedem Kapitel ist eine zusammenfassende Zeittafel angefügt, was nochmals einen übersichtlichen Einblick in die Firmengeschichte gewährt. Einzelne Drucktechniken und ihre Fachausdrücke sowie marktwirtschaftliche Zusammenhänge werden so erklärt, dass die Festschrift auch einem Laienpublikum gewissermassen als gut verständliches Handbuch zum Druckereigewerbe dienen kann.

Dazu eine Ausstellung
Was sich zwischen den Buchdeckeln des originell und qualitativ hochwertig gestalteten Buchs auf mehr als 250 Seiten darbietet, präsentiert sich momentan als kleine Auswahl eins zu eins und dreidimensional in einer Ausstellung im Landesmuseum Zürich. Fünf je einem Jahrhundert gewidmete Vitrinen enthalten Highlights und Bestseller der damals tätigen Verlage, darunter Froschauers Zwingli-Bibel von 1531, Salomon Gessners illustrierte Idyllen von 1795, neben der ersten Nummer der «Zürcher Zeitung» (der Vorgängerin der NZZ) vom 12. Januar 1780 sowie Unterhaltungsliteratur und Sachbücher aus dem 19. Jahrhundert.
Zu den Hausautoren des OF-Verlags im 20. Jahrhundert gehörte unter anderen Jean Rudolf von Salis, ausserdem druckte OF juristische Gesetzestexte, das Inventar der neueren Schweizer Architektur INSA oder die Modezeitschrift Orella. Das Thema Kartographie zeigt die zwei Teile des Zürcher Murer-Plans von 1576, auf denen Froschauers Wirkungsorte zu sehen sind. Das direkte Nebeneinander von frühen Landtafeln Europas aus Johannes Stumpfs Chronik von 1547/48 und einer Karte des kubanischen Landesatlas von 1926 sowie von Wander-, Touristen-, Schülerkarten und Stadtplänen dokumentiert das frühere Angebot des Verlags.

Ständiger Wandel
Einen grossen Geschäftserfolg verzeichnete Orell Füssli zur Zeit des boomenden Schweiz-Tourismus um 1900 mit der Entwicklung seines Photochrom-Verfahrens für die Herstellung von bunten Reisesouvenirs, Stadtansichten und Berglandschaften als Zimmerschmuck und Ansichtskarten. Neben dem Tourismus brachte auch die wachsende Industrialisierung neue Tätigkeitsfelder mit sich: In der Ausstellung sind früheste von Orell Füssli gedruckte Aktien mit Kultstatus zu bewundern, etwa jene für die Baumwoll-Spinnerei Escher, Kennedy & Cie in Feldkirch von 1827 oder die erste 1857 datierte Aktie der Schweizerischen Kreditanstalt. Die Swissair-Aktie von 1967 dürfte heute noch nostalgische Gefühle wecken.
Die Herstellung solcher Wertpapiere erforderte neue Drucktechniken zur Verhinderung von Fälschungen. Aktien und Banknoten wurden mit immer feineren, komplizierteren Ornamenten, den sogenannten Guillochen ausgestattet, die kaum nachzuahmen sind. Dafür stand seit 1926 die ebenfalls ausgestellte Guillochiermaschine zur Verfügung, die bis 1970 im Gebrauch blieb. Der Sicherheitsdruck war ein von Orell Füssli schon früh besonders intensiv gepflegtes und immer weiter entwickeltes Spezialgebiet. Ihm verdankte die Firma nicht nur den Auftrag zur Herstellung des roten Schweizer Passes, sondern auch jenen der Schweizerischen Nationalbank, die Banknoten unseres Landes zu drucken. Die Präsentation der verschiedenen Noten-Serien, vor allem auch der siebten nie in Umlauf gebrachten Reserveserie des Grafikers Roger Pfund und eines ungeschnittenen Probedruckbogens mit 54
10-Franken-Noten der neusten Serie bildet den Abschluss der attraktiven Schau, die eine willkommene Fortsetzung der Froschau-Ausstellung in der Schatzkammer der ZB darstellt.

Matthias Senn


Buch: «500 Jahre Drucken. Orell Füssli – Tradition und Innovation seit 1519», Orell Füssli Verlag Zürich 2019. 256 Seiten, reich illustriert. Fr. 125.–.
Ausstellung: «Von der Bibel zur Banknote. Drucken seit 1519». Landesmuseum Zürich, bis 22. April 2019. Expertenführungen jeweils mittwochs 18 Uhr. Infos zu Veranstaltungen: www.nationalmuseum.ch.