Elf Altstadt-Rundgänge

Die gebürtige Österreicherin Barbara Hutzl-Ronge lebt schon seit über 30 Jahren in Zürich und hat sich hier mit ihren Stadtführungen, die immer wieder ein breites Publikum begeistern, einen guten Ruf erworben. Das vergangene Zwingli-Gedenkjahr bot ihr die Gelegenheit, sich vertieft mit den Ereignissen der Reformation und deren Folgen zu befassen und diese auf den Rundgängen durch die Gassen der Stadt an den jeweiligen Originalschauplätzen lebendig werden zu lassen. Wegen der Corona-Krise mussten nun auch ihre für das Frühjahr bereits angekündigten Führungen abgesagt werden, und sie wird womöglich in nächster Zeit auf weitere Veranstaltungen verzichten müssen.  Glücklicherweise hat sie unlängst für vollwertigen Ersatz gesorgt: Mit dem Buch «Zürich. Spaziergänge durch 500 Jahre überraschende Stadtgeschichten» macht es Barbara Hutzl-Ronge nämlich möglich, die thematisch sorgfältig zusammengestellten Streifzüge durch Zürich samt den dabei erzählten spannenden Geschichten eins zu eins nachzuvollziehen. In elf Kapiteln spannt die Autorin den gewaltigen historischen Bogen von der Berufung Zwinglis im Jahr 1518 und dessen zwölfjährigem Wirken am Grossmünster über das Schicksal der Täufer, die Person der letzten Äbtissin des Fraumünsterklosters, die Bedeutung Heinrich Bullingers für die Sicherung der Zürcher Reformation, den Umgang der Obrigkeit mit den Locarner Glaubensflüchtlingen, mit den Hugenotten aus Frankreich und den Waldensern aus dem Piemont, bis hin zur Gründung der Zürcher Universität im 19. Jahrhundert, dem mutigen Auftreten der ersten Theologinnen im Grossmünster und in der Neumünsterkirche und der 1963 erfolgten ordentlichen Einsetzung der «zwölf Apostelinnen» ins Pfarramt.
Jenen, die mit Zürichs Geschichte einigermassen vertraut sind, mag manches bekannt vorkommen; die erfrischende Art der Erzählung, die den spontanen Tonfall der Führerin aufnimmt, und die sinnreiche Verknüpfung mit den aufgesuchten Orten wirken aber ansteckend und regen dazu an, sich selbst anhand der eingestreuten Routenpläne auf die vorgeschlagenen Wege zu teilweise versteckten Winkeln zu machen – was ja nun wieder gefahrlos möglich ist.
Voll erfüllt sind die im Titel des Buches geweckten Erwartungen: Es bietet klug recherchierte Spaziergänge, die tatsächlich 500 Jahre Geschichte abdecken; und wo auch immer man den 390 Seiten starken Band aufschlägt, trifft man in Wort und Bild auf überraschende Einzelheiten und Ansichten aus zuweilen unerwarteten Perspektiven. So fügen sich Barbara Hutzls gehaltvolle Texte und die ausgezeichnet dazu passenden, stimmungsvollen Fotografien von Martina Issler zu einem rundum gelungenen Werk.

Matthias Senn

 

Barbara Hutzl-Ronge, «Zürich. Spaziergänge durch 500 Jahre überraschende Stadtgeschichten», fotografiert von Martina Issler, 391 Seiten, AT Verlag, Aarau und München, 2. Auflage 2020, Fr. 40.90.