Ruth Vögtlin

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Wer Ruth Vögtlin kennengelernt, wer ihre Sympathie oder Freundschaft gewonnen hatte, der wurde reich beschenkt, mit Worten, mit Gesten, durch Taten. Sie war mutig, scheu und wehrhaft. Der Wille frei zu sein, durch eigene Handlungen das Leben zu erfahren, prägte ihren Charakter.  Zum Drang nach Freiheit lebte in ihr aber auch der Wunsch nach Verbundenheit mit den Menschen, Tieren, Pflanzen, der Umgebung, besonders mit der Altstadt und ihren Bewohnern. Ihrer Neugierde, ihrem Wissensdurst, ihrem leiblichen wie geistigen Auge und Kamera-Auge war nichts zu gross oder klein, nichts zu prächtig oder zu unscheinbar, zu fern oder zu naheliegend, als dass sie es nicht angeschaut und untersucht hätte. Zuerst für sich selber, dann aber kam die Lust, die Freude, ihre Entdeckungen mit uns teilen zu wollen, dazu. Das war manchmal ansteckend, manchmal anstrengend.
Was auch zu ihr gehörte: Ruth war ein leidenschaftliches «Tanzfüdli». Hier erlebte sie die Leichtigkeit des Seins und «sie tanzte wie ein Engel».
Eine weitere elementare Erfahrung kannte Ruth auch: die Angst. Angst vor dem Nicht-ernst-genommen-Werden, Angst vor Ablehnung, Zurückstossung, Isolation. Sie war impulsiv, hat manche das eine oder andere Mal vor den Kopf gestossen, verärgert oder verletzt. Selber war sie aber auch verletzlich. Diese Eigenschaften brachten sie wiederholt in depressive Stimmungen. – Sie machte aber auch die stärkste menschliche Erfahrung: die Liebe.
Wie die Liebesgeschichte von Ruth und Dimitri im «Odeon» begann, wie sich die Liebe auf den Stufen der Akropolis in Athen durch die Haut bis ins Herz der beiden brannte, durch Trennung und Wiedervereinigung weiter verlief, das kann Dimitri Carousakis-Vögtlin erzählen. Die beiden teilten 52 Jahre Leben.
Am 20. Januar musste Ruth Vögtlin nach kurzer schwerer Krankheit vom Leben Abschied nehmen.
In der Todesanzeige schreibt Dimitri: «Sie wollte noch nicht sterben und wird mir unendlich fehlen». – Auch uns wird sie fehlen.

Peter Doppelfeld

Foto: zVg