Kanonen, Glocken, Gastfreundschaft

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Bekannt ist der gastronomisch seit 1911 aktive «Gloggehof» nicht zuletzt wegen seines verwunschenen Innenhofs. Verwunschen, soweit das im modernen Zürich überhaupt möglich ist. Man hört wirklich nur das gelegentliche Zimbelgeläut der benachbarten St.-Anna-Kapelle und manchmal die Gäste an einem Nebentisch. Die Adresse Sihlstrasse 31/33 hat eine lange, wechselvolle Geschichte.

Die Moules & Frites hätten wir an diesem lauen April-Abend zwar gerade noch knapp geschafft, denn die sommerliche Muschel-Pause beginnt im Mai, dem ersten Monat ohne R im Namen, und sie dauert bis Ende August. Doch es gibt ja auch schon frühsommerlichen Spargel! Mit Morchelsauce oder mit Orangenmayonnaise (Fr. 27.–/ 32.–), dazu eine rechte Portion Rohschinken (Fr. 9.–). Der Mit-Esser war sehr zufrieden mit seinem indonesischen Mah Mee mit Mango Chutney, sautiertem Poulet und Kroepoek (Fr. 27.–/31.–).
«Glockenhof»-Klassiker sind die Zanderchnuschperli (Fr. 28.–), das Wienerschnitzel vom Kalb (Fr. 29.–/38.–) und das Zürcher Geschnetzelte mit Champignonrahmsauce und Rösti (Fr. 33.–/42.–). Der Maienfelder Blauburgunder von Schloss Salenegg (Fr. 58.–) passte wunderbar, wir tranken die Flasche rübis und stübis. Die Weinkarte ist massvoll international, die Preise auffallend freundlich. Der Hauswein Epesses Cuvée Conrad von Michel Blanche, Grandvaux, kostet 43 Franken. – Eine Trouvaille ist das Lokale Wasser 37 aus dem historischen Wassernetz von Zürich, das offenbar 1559 eingerichtet wurde (www.lokaleswasser.ch). – Dieses Fläschchen Lokalpatriotismus ist uns Fr. 7.50 wert!
Rekordverdächtig ist die Betriebstreue der Mitarbeitenden, allen voran der Direktor (Gastgeber gemäss seiner Visitenkarte) Matthias Sutter, seit 25 Jahren, oder der Chef de Service, Gunnar Oettli, 16 Jahre. Auch Rustem Ganija, Albaner aus Nordmazedonien, ist schon 21 Jahre dabei; er hat uns den ganzen Abend bestens betreut, kompetent, sehr freundlich und über alles im Bild, was im Cevi-Imperium so läuft. Im ersten Stock befinden sich die Gesellschaftsräume, wo beispielsweise der Lions Club Altstadt und auch der 1919 gegründete erzkatholische Club Felix Stammgäste sind.

Glocken und Zürcher Böller
1433 kaufte der Glockengiesser Hans Bartholome Füssli neben der mittelalterlichen Stephan-Kapelle ein Haus «mit Krautgarten». 1480 kam ein weiterer Garten mit dem erst 1908 abgebrochenen Glockenhaus dazu, und die Füsslis errichteten auf dem Areal ihre Giesserei. 1645 wurde sie vergrössert, damit im Auftrag des Rates von Zürich Böller und grössere Geschütze gegossen werden konnten. Wer jetzt an Emil Bührle denkt, ist selber schuld. Die Füssli sammelten keine Kunst, jedenfalls nicht im grossen Stil. Dreizehn Generationen malochten 400 Jahre in der Giesserei, der letzte Betreiber war Wilhelm Conrad Füssli (1785-1843), ohne männliche Nachkommen. Nach ihm ist das gediegene Restaurant «Conrad» mit der überraschenden, fast berlinerischen Raumhöhe benannt.

Eine grossartige Mäzenin
1856 kauften Hans Caspar Escher vom Glas und seine Gattin Anna Muralt das Gelände. Er war einer der Gründer der Maschinenfabrik Escher-Wyss. Seine Tochter Mathilde Escher (1808-1875), evangelisch motiviert, wurde eine beispielhaft grosszügige Mäzenin – sie konnte es sich auch leisten! Die katholische St.-Stephan-Kapelle war längst, schon 1528, der Reformation wegen abgebrochen worden. Wo die historische St.-Anna-Kapelle von 1387 stand, wurde Anfang der 1910er-Jahre in neubarockem Stil das denkmalgeschützte Warenhaus St. Annahof hochgezogen. Die nächste St.-Anna-Kapelle an der St. Anna-gasse 11 ist heute noch evangelisch/ ökumenisch aktiv. 1908 verkaufte die Mathilde-Escher-Stiftung das Areal dem 1887 gegründeten Christlichen Verein Junger Männer Zürich 1. 1911 wurden das Hotel und das Vereinshaus Glockenhof eingeweiht, Trägerin ist die Stiftung zum Glockenhaus.
Das christliche Klima des Hauses wird nicht einfach plakatiert, man spürt es, unaufdringlich, aber deutlich: am begehrten, bahnhofnahen Angebot von Sitzungsräumen, an den humanen Preisen und an den auffallend langen Dienstzeiten des Stammpersonals.

Esther Scheidegger

Restaurant «Glockenhof», Sihlstrase 31, Tel. 044 225 91 91, www.glockenhof.ch, Öffnungszeiten in den verschiedenen Restaurants unterschiedlich.