Zürich auf dem Teller und im Glas

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Der leidenschaftlich gastfreundliche, coole Sepp Wimmer wirtet seit 2004 in der «Waag», dem Zunfthaus der Leinen- und Wollenweber, Bleicher und Hutmacher am Münsterhof. Im historischen Prachtsaal im zweiten Stock hatten er und seine Frau Sandra 1985 ihre Hochzeit gefeiert.

Um es gleich vorwegzunehmen: Objektiv sind wir nicht. Wir haben so hervorragend gespeist und getrunken! Denn das historische Zunfthaus ist auch ein zeitgeistig brillierendes Restaurant. Der Küchenchef Alain König und seine Crew kochen weltmeisterlich. Die Entenleberterrine (Fr. 28.50) schmolz auf der Zunge, der Kabissalat mit Hirschschinken (vom Abendmenu, drei Gänge 75 Franken) war perfekt.
Meinem Partner schmeckte der gebratene Portobello (ein gross geratener Zucht-Champignon) mit Gambas, Taglionini und gelber Currysauce, meine Eglifilets waren schweizerisch (Fr. 48.–). – Als Dessert ist Marcel Chardons (1916-1987) Schoggimousse (Fr. 16.50) ein Muss. Er hats erfunden, führte die Confiserie seines Vaters am Rennweg und war ein Schulkamerad meines Vaters gewesen.

Vielseitiges Zunfthaus
Heiraten kann man in der «Waag» übrigens heute noch, denn das Zunfthaus ist eines der vier offiziellen Traulokale der Stadt ausserhalb des Zivilstandsamts. Und seit 2016 ist der Münsterhof ja autofrei. Er sieht zwar schön aus, aber das «Chäs-Vreneli» fehlt, und auch «Kowä». Das Wasser des Brunnens kann Sepp Wimmer in Wein verwandeln. Er hat den passenden Schlüssel.

Gastfreundlich geboren
Der Hang zur Gastfreundschaft wurde Sepp Wimmer sozusagen in die Wiege gelegt. Aufgewachsen ist er im Wirtshaus «Wimmer» seiner Eltern in Sankt Peter in der Au in Niederösterreich. Mit 19 kam er in die Schweiz. Er absolvierte die Hotelfachschule, lernte seine Frau Sandra kennen, eine Schweizerin, und er blieb. Sie haben zwei Töchter.

Exzellente Weinkarte
Wir tranken eingangs lokalpatriotisch den Pinot Blanc (Fr. 63.–) des Zürcher Weinguts Landolt. Dann empfahl uns der Kellner Kim Christ den Stäfner Memorial der Familie Menzi (Fr. 62.–). Eine gute Empfehlung. Christ, der früher in der Klinik Bethanien arbeitete, stammt aus Hägendorf, er ist bärtig, grossgewachsen, schlaksig und unaufdringlich kompetent. Er weiss auch Bescheid über die quasi klandestine, konsignierte Spezialitäten-Weinkarte seines Chefs. Da gibt es beispielsweise den Haut-Brion 1947 für 2115, einen Latour 1999 für 1640, einen Margaux 1959 für 2345 oder einen DRC Montrachet 2001 für 7530 Franken. Dann und wann wird so etwas wirklich bestellt, und nicht etwa von Chinesen, die dann noch Eiswürfel verlangen. Die Konsumenten sind vor allem Vierergrüppchen von honorigen einheimischen Herren mit ausreichend Taschengeld – prosit! Konsignation bedeutet übrigens, dass die Flaschen bis zur Konsumation im Besitz des Händlers bleiben und der Wirt somit nicht zu einer teuren Lagerhaltung gezwungen ist. Der Wirt freut sich über die Provision, der Händler über die Marge und die Herren geniessen es. Noch Fragen?

Kultur à gogo
Sonntags ist das Zunfthaus eigentlich geschlossen. Aber, den Wimmers sei Dank, sonntags ist es ein Spielplatz für Kulturschaffende verschiedenster Couleur. Schauspieler/innen, Musiker/innen, Tangotänzer/innen… Der Raum samt Klavier im dritten Stock wird gratis zur Verfügung gestellt, für den «Rest» sind die Veranstalter selber verantwortlich, auch für die Reklame und den Ticketverkauf. Das Zunfthaus-Angebot wird intensiv genutzt. Am 2. Januar soll beispielsweise wieder der Neujahrsblattverkauf und das Bärchteliessen 2022 stattfinden. So die Pandemie es denn gestattet.
Das Zunfthaus zur Waag ist in allerbesten Händen. Servus, Sepp!

Esther Scheidegger

Zunfthaus «zur Waag», Münsterhof 8, www.zunfthaus-zur-waag.ch, Tel. 044 216 99 66, Montag bis Samstag 11.30 bis 14 und ab 18 Uhr.