Hutgeflechte im Freiamt

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Der diesjährige Herbstausflug des Quartiervereins führte nach Wohlen ins dortige Strohmuseum. Auf der Führung durch das Haus erfuhr man allerhand über die Geschichte eines einst blühenden Wirtschaftszweigs.

Vor vielen Jahren hat der Quartierverein Zürich 1 rechts der Limmat an seinem traditionellen Jahresausflug am Knabenschiessen-Montag das Kloster Muri im aargauischen Freiamt besucht, wo das Herz der Kaiserin Sissi ruht. Danach war Schluss mit den Kantonsgrenzen überschreitenden Reisen und man besann sich der vielen schönen Seiten und Orte unserer Stadt und unseres Kantons.
Nicht dass man all diese bereits besucht hätte, aber am 13. September 2021 lag das Reiseziel wieder einmal – im aargauischen Freiamt. Das «Strohmuseum im Park» in Wohlen nämlich stand auf dem Programm. Dorthin gelangte die 18-köpfige muntere Schar mit S-Bahn und Bus bis fast vor das Haus.

Strohgeflechte
Das Museum wurde in der früheren Fabrikantenvilla eingerichtet, die von einer grosszügigen Parkanlage umgeben ist. Das Freiamt, so erfuhren die interessierten Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Führung durch das Haus von Ottilia Leemann, war von Bauern besiedelt, die zunächst für den Eigenbedarf Kopfbedeckungen aus Stroh anfertigten.
Im 19. Jahrhundert begannen sie in den Wintermonaten Strohgeflechte herzustellen, was ihnen einen Zusatzverdienst einbrachte, der allerdings bescheiden war und die Kinder in die Produktion einband.
Berühmt wurde die Gegend nämlich nicht in erster Linie durch Strohhüte, sondern für Strohgeflechte, die dann bei Modisten, Hutmachern in den Metropolen New York, London, Paris, St. Petersburg Abnehmer fanden. Und – dafür kamen auch feingliedrige flinke Kinderfinger zum Einsatz – geflochtene und geknüpfte Garnituren aus Stroh, welche als Verzierungen modischer Hüte dienten. Wie auch die von Hand aus Stroh gestanzten Teile, die auf Kleider genäht wurden. Von daher stammt übrigens das Wort Pailletten (von Paille, französisch für Stroh).

Hochblüte und Niedergang
Eigens für die Weiterverarbeitung angepflanzter Roggen, in der Milchreife im Juni geerntet, bot die Grundlage für die Flechtarbeiten. Die Halme waren auch in getrocknetem Zustand von der gewünschten Elastizität, wenn sie ab November weiterverarbeitet wurden. Um 1800 kam die Hutmode auf und brachte die Strohgeflecht-Produktion zum Erblühen. Von 1830 bis 1880 war hier ein Hutgeflechtzentrum mit internationaler Ausstrahlung. Die stattliche Fabrikantenvilla zeugt von dieser Epoche. Bis 1878 dauerte ein Arbeitstag, man stelle sich vor, 15 bis 16 Stunden. Später wurde die Arbeitszeit verkürzt auf 11 Stunden. – In den 1960er-Jahren kam der grosse Einbruch. Frauen liessen sich die Haare schneiden, das Huttragen kam aus der Mode. Auch wich die noble Gesichtsblässe dem Schönheitsideal von gebräuntem Teint, was sich mit einem Sonnenhut schlecht vertrug.
Von Hand angefertigte Strohhüte gibt es heute nur noch als seltene Exemplare. In einem einfachen Herrenhut, so rechnet die Gastgeberin vor, stecken rund 15 Stunden Arbeit, bei einem Damenhut kommt leicht der doppelte Aufwand zusammen, was einen Preis von gegen 700 Franken ergibt. Sie gibt uns zum Abschluss eine Kostprobe ihres Könnens und fertigt geschickt einige der winzigen Garnituren an.
Dann wird es Zeit für den Zvieri, für den sich der nötige Appetit aufgebaut hat. Ein paar Schritte die Hauptstrasse hinunter erreicht die Gruppe das Restaurant «Marco Polo», wo im Gartenrestaurant ein kalter Teller serviert wird.
Das Résumée des Ausflugtages ist positiv und gutgelaunt wird man sich rasch einig: Die Abwesenden haben wieder einmal etwas verpasst.

Elmar Melliger