630 Bärli

Oh, wenn ich meinen Teddy doch schon hätte!

Lieber Strandläufer,

Warum die Frauen im Tram und überall nuckeln, fragtest du, geachteter Strandläufer. Die saugen an ihrem Fläschli aus Regression. Sie sehnen sich zur Mutterbrust zurück und wollen nicht erwachsen werden, das jedenfalls behaupte ich als über Jahre ausgebildeter Copsychologe, das ist einer, der es durch Trittbrettfahren geworden ist. Er ist ein Brüderlein des Copiloten, Copräsidenten, Corauchers und Coalkoholikers.
Wo Raymond Praktisch sei? Du zerreissest mein Gemüt! Wir mussten ihn bestatten, kurz bevor du aus der Südsee zurückkamst. Die Leserinnen dieses Blattes bewahren ihn immer noch still in ihren Herzen, und die Leser erzählen ihren Enkeln von seinem Genie. Nie war ein grösserer Erfinder! Sein Denkmal wird dereinst auf dem Hirschenplatz stehen.
Ich muss dir ein Geständnis machen: Mich schlug die Bärenpest. Alle meine Freundinnen fragen mich mit entsetzt aufgerissenen Augen: Findest du die Teddybären auch so grässlich? Ein Stadtwanderer muss in seinem ästhetischen Empfinden aufs äusserste verletzt sein, setzen sie stillschweigend voraus. Wer hat im Weltblatt nicht dauernd und tapfer gegen den Sauglattismus angeschrieben? Da enttäusche ich den weiblichen Teil der Menschheit und sage fast verschupft: «Pardon, mir gehts wie der Stadt Zürich, ich habe die Bärenpest, darum finde ich sie schnusig, jö wie herzig, munter, farbenfroh, stadtbelebend, kinderfreundlich, touristennett, künstlerisch wertvoll, ästhetisch gelungen, kulturell genial, beispielsetzend, völkerverbindend, gottgewollt, zusammenfassend: allerliebste Tierlein.» Die Freundinnen wenden sich jeweils mit Verachtung von mir ab und ihre Typen erwägen schwärzeste Vergeltung. Einer wollte mir Angst machen und drohte, er werde mir einen dieser Kotzbrocken kaufen und ich müsse ihn neben mein Bett stellen. Er kann gar nicht ermessen, welche Freude er mir da ankündigte. Mein Bett wird einsam sein, denn auch meine LAP (Lebensabschnittspartnerin) gehört zu meinen Freundinnen und ist ausgezogen. Aber Teddy wacht über mich, und seine lieben Äuglein zwinkern so chäfermorelieb, dass ich für alle Verluste entschädigt bin. Oh, wenn ich meinen Teddy doch schon hätte!
Du siehst, was ich für die Kunst zu leiden habe. Aber es ist halt so: die wahren Liebenden sind einsam. Mich tröstet nur die Gewissheit, dass ich mit den Touristen und ihren Melkern einig bin. Denn was die gewöhnlichen Zürcher oder gar die Bewohnerinnen der Altstadt zu den lustigen, munteren, fröhlichen, lebensbejahenden Kuschelviechern sagen, ist nun wirklich nebensächlich. Ich werde mich schön drapiert vor allen 630 Bärli fotografieren lassen. Ich bin überzeugt, dass ich mit diesen Föteli mindestens so viele Freundinnen finden werde wie vorher mit meiner Briefmarkensammlung. – Aber jetzt muss ich los, heute sind die Nummern 33 bis 66 dran.

Mit hastigem Gruss
dein Stadtwanderer