Schnecken hinterm Grossmünster

Seit wann das «Dézaley» ein Wirtshaus ist, lässt sich nicht präzise festmachen. Aktenkundig ist: Man trifft sich dort seit über 130 Jahren.

In dieser Ecke fiepst kein Handy. Das Haus an der Römergasse versteckt sich hinter dem Grossmünster, als lege es Wert auf eine gewisse Diskretion. Daher verwundert heutige Gäste nicht, dass ein Polizist notierte, hier würde «ohne Bewilligung» getanzt und er vermute weiteres «unsittliches Treiben».
Das ist lange her, 1884, das Lokal hiess damals noch «Jägerstübli». Erst ab 1943 ist es das «Dézaley». Zu Hause ist es eigentlich in zwei Häusern, in jenem an der Römergasse 7 und in Nummer 9 daneben. Erstmals erwähnt 1274 ist der Bau als «Tütsch Hus». Es gehörte einem deutschen Orden. Die beiden Häuser wurden immer wieder getrennt und vereint wie siamesische Zwillinge.
Bis heute würde der Gang im ersten Stock der Wirtschaft in die Wohnung des Patrons führen. «Aber nun ist der Durchgang zu», sagt Fernando der Kellner, der uns einen leckeren Dézaley du Patron (Fr. 57.50 die Flasche) empfahl. Fernando ist Portugiese, die sieben Gäste links von uns sind aus Osaka, die zwei Gäste rechts aus Washington. – Alle neun gucken zu uns hinüber, weil wir kein Käsefondue bestellt haben, sondern ein Fondue Chinoise (Fr. 43.50 pro Gast). Ein was? fragen sie. Ah! Gute Idee! Die Japaner bestellen gleich das Fleischfondue nach.
Die Amerikaner kosten von unserem Dézaley, köstlich, köstlich, sagen sie, sie gehen weiter nach Munich, you know, Oktoberfest, klar doch, und ihre Airbnb-Bleibe in Zürich sei die schönste und sauberste bisher. Was uns freut. Und die teuerste. Was wir vermuteten.

Die Zukunft des Mietvelos
Renato Schneeberger ist öfters in China und erzählt, in den Städten gäbe es Velos in allen Farben des Regenbogens. Es stünden so viele kreuz und quer herum, dass die Verwaltung sie einsammeln lasse und zu Tausenden auf einen Platz werfe.
Unser Essen wäre einen Tag früher gewesen, aber da humpelte Renato, und ich hatte eine geschwollene Wange und sah nur mit einem Auge. Er hatte sich beim Basketball den Fuss verknackst, ich war beim Zahnarzt gewesen.
Renato ass eine frisch zubereitete Tomatencrèmesuppe (Fr. 10.50), ich zerrte sechs Schnecken an Kräuterbutter (Fr. 13.–) aus ihrem Camper. In China sei der Hot Pot beliebt, sagt Renato. Dem Gast wird ein Topf klare heisse Suppe vorgesetzt, und der legt alles hinein, was sich nicht wehrt.
Das Fondue Chinoise schmeckte den Gästen aus Japan ebenso wie uns. Sie erzählten, sie seien Ingenieure und seien wegen ABB in der Schweiz. Dass sie im «Dézaley» an zwei Eingeborene geraten waren, erfreute alle neun Gäste aus Übersee.
Renato hatte seinen Job gekündigt, worauf wir fanden, das sei eine gute Gelegenheit, erneut das Glas zu heben. Er mit einem Portwein (Fr. 8.–), ich mit einem Averna (ebenso Fr. 8.–).

Munteres Geschnatter
Aus drei Tischen aus drei Kulturen war wegen dem Fondue Chinoise eine munter durcheinander schnatternde Gesellschaft geworden, die sich zuprostete und das Essen lobte und die Bedienung ebenso und den strengen Geruch von Käsefondue vergass.
Die Japaner fanden, wir müssten unbedingt Osaka sehen, die Amerikaner wollten uns Washington zeigen. Renato fand, als Erstes reise er wieder nach China, aber davor sei er in Athen. Exakt in der Zeit, in der ich ebenso in Athen bin. Das tönt nach einem gemeinsamen Ouzo, fanden wir.
Kein Handy klingelte, keine SMS blinkte auf, keine Push-Meldung warf das Thema Politik in die Runde. Winkend und händeschüttelnd und lächelnd und alles Gute wünschend trennte sich die Gruppe wieder in ihre drei Teile auf und fand, das Leben sei nun wirklich wunderbar.

René Ammann*

Restaurant «Dézaley», Römergasse 7 und 9,
8001 Zürich, Tel. 044 251 61 21. Montag bis Samstag von 11.30 bis 14.30 und von 17.30 bis 24 Uhr, Sonntag geschlossen, www.le-dezaley.ch.


*René Ammann isst und trinkt jeweils mit einem Gast, weil es geselliger ist. Diesmal mit dem Basketballspieler und Webdesigner Renato Schneeberger.