Von der Schuhkunst zum Kunstschuh

Der Kunstschuh hängt in der Galerie von Andy Jllien an der Wand. Doch der Reihe nach: Dreiunddreissig Jahre beglückt Andy Jllien das Gebiet Torgasse / Rämistrasse nun mit seiner Anwesenheit. Mit Schuhen an der Torgasse fing es an, Fortsetzung war Kunst in der eigenen Galerie an der Rämistrasse 18.

Andy Jllien wurde 1949 geboren, wuchs wohl behütet von kreativen Eltern in Wollishofen auf, besuchte mehr als vier Jahre das Gymi und verschwand ohne grossen Abschluss und Abschied nach London, wo er - Glücksfall für die Schuhbranche - bei Bata International eine Stelle als Stagiaire antreten konnte. Bald kreierte er eigene Modelle, insbesondere Stiefel, die überall gut ankamen. Die Stufenleiter hinauf, wurde er zum Assistenten des Exportleiters befördert, es folgten Reisen in die ganze Welt und auch weitere Schuhkreationen. Eine Versetzung nach Indien behagte dem jungen Mann jedoch weniger, und so machte er sich 1972 kurzerhand selbständig. Mit viel Optimismus eröffnete er an der Torgasse 5, wo bis anhin das Schuhgeschäft Brechtbühl wirkte, sein erstes Schuhgeschäft.

Die Schuhe
Jlliens Idee war, Zürichs farbigsten Schuhladen zu kreieren, was ihm mit den aus London mitgebrachten Kenntnissen, den eigenen Kreationen und den guten Verbindungen zu kleineren italienischen Schuhmanufakturen auch bestens gelang. 1977 fand die Eroberung von Amerika mit einem Geschäft
in Beverly Hills statt. Von damals stammt die Adresse «Zürich - Beverly Hills». 1985 wurde die Eroberung abgebrochen und Zürich war wieder Hauptschauplatz. Mittlerweile gab es an der Torgasse zwei Geschäfte, Damen rechts, Herren links. Heute werden nur noch Damenschuhe angeboten, rechts eher klassische Modelle, links Designermode für jedes jugendliche Alter. Dazu noch die Familiengeschichte: Mutter Clara führt die Buchhaltung, Schwester Judith die Schuhgeschäfte und Andy Jllien die Galerie, wobei wir bei der Kunst angekommen sind. Anzufügen ist, dass während einer erzwungenen Renovation an der Torgasse (die Decke war eingestürzt) der Laden an die Oetenbachgasse 13 verlegt wurde, wo heute im «Ojo de Agua» Dieter Meier seine Spezialitäten verkauft (siehe Februarausgabe des Altstadt Kuriers).

Die Kunst
Etliche Künstler kauften ihre Schuhe bei Andy Jllien an der Torgasse. Einige bezahlten so ungefähr ihre Schuhe mit Bildern oder Werken. So wuchs die Sammlung, natürlich auch durch Ankäufe, sodass eines Tages die Frage oder die Idee einer eigenen Galerie für den zum Kunstkenner gewordenen Schuhmann nicht allzu fern lag. Gedacht, getan! An der Hardturmstrasse, wo heute die Galerie Koller ihre Auktionen durchführt, entstand die erste Galerie Andy Jllien. Das war 1986, und 1995 erfolgte der Umzug an die Rämistrasse 18, wo 1996 nach einem umfassenden Umbau die Eröffnung stattfand. Seither genossen namhafte Künstler Gastrecht in der Galerie, unter anderen Daniel Spoerri, Alfred Hofkunst, Luginbühl, Tinguely, David Hare, Hans Krüsi, Timmermahn und nun Carl Bucher, dem zu dessen 70. Geburtstag eine umfassende Retrospektive gewidmet ist. Carl Bucher wurde bekannt durch seine «Landings» (der Laie würde sagen, eine Art Raumschiffe in Popart aus Polyester) die mehrheitlich in Kanada in Museen zu finden sind, durch Bilder «Wege und Experimente», einst im Kunsthaus Zürich zu sehen und später durch «die Versteinerten», Skulpturen, die gegen Krieg und Gewalt anklagen und unter die Haut gehen. Nach vielen Auszeichnungen, über vierzig Einzel- und Gruppenausstellungen in Kanada, USA, Europa und natürlich in der Schweiz kommen nun die besten Werke an die Rämistrasse (Vernissage war am 3. März, die Ausstellung dauert bis 9. April).
Doch auch Erstwerke von Künstlern, Schweizern oder Kubanern oder Chinesen, haben eine Chance, als Avantgarde einmal bei Andy Jllien ausgestellt zu werden.
Das Haus, seit 1754 «Haus zum Garten», wurde von David Herrliberger gezeichnet und sieht heute noch aus wie damals, doch die Umgebung hat sich verändert. Geblieben ist der Garten, der Brunnen und das reizvolle, doch wuchtige Eingangstor. Erbaut von General Werdmüller, kam es später in den Besitz des Ratsherrn Salomon Ott und seinem Bruder Hans Conrad, welche Verschiedenes abrissen und neu bauten, Heinrich von Orelli war einmal Besitzer, und durch Heirat kam die Liegenschaft in den Besitz der Familie von Muralt, insbesondere Dr. med. Leonhard von Muralt, dem weitere Ärzte folgten, wobei Dr. med. Wilhelm von Muralt -von Planta zu den Gründern des Kinderspitals gehörte. Ein Haus mit Geschichte, dem Andy Jllien nun ein weiteres bemerkenswertes Kapitel hinzufügt.

Galerie Andy Jllien, Rämistrasse 18, 8001 Zürich, Telefon 044 252 95 00.

Peter Keck