Angekommen

Unsere Gastschreiberin Maria Eriksson ist in Schweden aufgewachsen. Gekommen für ein Jahr, lebt sie seit bald dreissig Jahren in der Schweiz, die meiste Zeit in Zürich. Entspannung und Ausgleich findet sie auf den Spaziergängen beim ­Besuch ihrer verschiedenen Lieblingsplätze in der Altstadt.

Zu Hause fühlen kann man sich überall. Nicht nur an dem Ort, an dem man geboren wurde. Ein spezieller Platz dazu ist die Zürcher Altstadt. Ich bin in Schweden geboren und aufgewachsen. Genau in der Region, wo auch Astrid Lindgren zu Hause war und ­ihre wunderschönen Geschichten schrieb. Das bedeutet, ich bin sehr ländlich aufgewachsen, nahe an der Ostsee. Die ersten Jahre meines Lebens bei meinen Eltern und zwei jüngeren Schwestern. Mit dreizehn durfte ich erfahren, wie es ist, in einer Patchwork-Familie zu leben. Meine Eltern hatten sich getrennt und die Familien wurden neu zusammengestellt. Meine Kindheit erinnert mich an die Geschichten der oben genannten Schriftstellerin. Endlose Sommerferien in der freien Natur, meistens barfuss unterwegs. Lange Nächte, die nie richtig dunkel wurden. Zauberhaf­te Winter mit sehr viel Schnee, Lang­laufloipen und Natureisbahn direkt vor der Türe…
Obwohl sicher nicht alles nur toll war, erinnere ich mich gerne an die glücklichen Zeiten meiner Kindheit zurück. Natürlich gab es auch bei mir die weniger schönen Momente, doch diese verdrängt man gerne.
Und wie kommt es jetzt, dass seit bald dreissig Jahren Zürich mein Zuhause ist? War ich doch eine eher schüchterne, unsichere junge Frau, die mit 18 ihre Erstausbildung im Pflegebereich abgeschlossen hatte und die erste eigene Wohnung in Kalmar, eine Kleinstadt, bezog.

Lust auf etwas Neues
Trotz meiner Schüchternheit hatte ich aber auch eine neugierige und etwas rastlose Seite. Bei meiner Arbeit im Regionalkrankenhaus träumten und sprachen meine Freundin, die auch meine Arbeitskollegin war und ich oft darüber, ob dies nun schon alles sei, oder was es sonst noch so im Leben zu entdecken gäbe. Andere Länder entdecken, eine andere Sprache lernen. Wir wollten unbedingt noch etwas ­anders erleben, als das, was wir bereits kannten. Der Aufbruch fiel uns nicht schwer. Der Grund war ein ers­ter Freund, der begann, sich in meinem Leben breit zu machen. Zuerst parkierte er seine Zahnbürste und dann sich selber in meiner Wohnung. Schneller, als es mir lieb war. Deshalb sassen wir, meine Freundin und ich, im Oktober 1987 im Zug nach Zürich. Beide hatten wir eine Stelle als Au-pair. Ein Jahr nur wollten wir weg bleiben, ein anderes Land entdecken. Uns den Wind der weiten Welt um die ­Nase wehen lassen. Ein Jahr nur. Wir sind beide noch immer hier.

Hin und weg
Ich erinnere mich noch heute sehr stark an die erste bewusste Begegnung mit der Stadt Zürich. Es war an einem wunderschönen Sonntag im Frühling, kurz nach meiner Ankunft. Meine «Familie», die in Höngg wohnte, nahm mich mit auf einen Ausflug an den Zürichsee, direkt beim Bellevue. Ich war überwältigt und fand es grossartig. Ich weiss noch, wie ich dachte, hier will ich bleiben! Was war es? Der See, die Limmat, die Berge, die man erahnen konnte? Der anschliessende Spaziergang durch das Niederdorf mit seiner besonderen Atmosphäre, die mich von Anfang an faszinierte? Vielleicht ein Gemisch von all dem. Sicher auch das Gefühl von Grossstadt und Abendteuer, welches Zürich für mich ausstrahlte.

Das Nachtleben genossen
Die ersten Jahre in Zürich waren geprägt davon, viel in den Ausgang zu gehen, oft auch in der Altstadt. Einige Orte von damals gibt es heute nicht mehr. Zum Beispiel die «Casa Bar» und das «Riverside». In beiden Lokalen konnten wir das Tanzbein schwingen. Im Letzteren sogar ohne Eintritt, was uns, Immer-knapp-bei-Kasse-Au-pairs, besonders gefiel. Eigentlich herrschte ein Konsumzwang. Durch unser ständiges Zirkulieren in der Bar konnten wir das aber umgehen, bis der Kellner unsere Strategie durchschaut hatte. Andere unserer Favoriten, die es nicht mehr gibt, waren die «Limmatbar» oder das Restaurant «Gitano», in welchem ebenfalls heftig gefeiert wurde. Zu Kaffee und etwas Süssem gingen wir damals oft ins Café «Aquarium» am Limmatquai oder in den «Mohrenkopf». Was es hingegen immer noch gibt und noch immer absolute Lieblingsorte von mir, sind die «Bodega Espanola» und das «Splendid». Im «Splendid» habe ich schon mit zwanzig oft lustige Abende verbracht und viele Leute kennen­gelernt. Und mit heute bald fünfzig ist das immer noch genauso.
Zwischen damals und heute ist viel geschehen. Ich habe sicher an die zehn Mal gezügelt. Anfangs immer innerhalb der Stadt Zürich. Albisrieden, Wiedikon, Höngg und anderes mehr. Die letzten Orte waren dann ausserhalb der Stadt auf dem Land.

Liebe zur Altstadt
Meine Arbeitgeber haben gewechselt und ich bin stolze Mutter von drei Söhnen geworden. Auf vielen meiner Reisen habe ich einiges gesehen. Wunderschöne Orte, Plätze und sicher auch grössere Städte. Vor kurzem erst New York. Die Liebe aber zu Zürich und seiner Altstadt ist mir geblieben. Ich bin sehr oft durch das Niederdorf gewandert und habe dabei geträumt, einmal hier wohnen zu dürfen. Ich mag die wunderschönen, alten Gebäude, die es hier gibt und die Gassen, die so viel Geschichte atmen. Ich mag es, wenn sich abends und am Wochenende die Strassen und Plätze mit Menschen füllen. Ich mag aber auch sehr die Stille und Einsamkeit, früh am Morgen, wenn fast niemand unterwegs ist und die Strassen und Plätze nur mir gehören.

Es ist Wirklichkeit geworden
Der Traum ist im April in Erfüllung gegangen: Nach fast dreissig Jahren wohne ich jetzt im Niederdorf, an einem wunderschönen Ort mit einem Menschen, der sich, wie ich, sehr mit Zürich und besonders dem Niederdorf verbunden fühlt. Und tatsächlich: Ich habe es kaum geglaubt, immer noch neue Ecken und versteckte Winkel zu entdecken. Unter anderem ist das Café am Neumarkt, nicht weit weg von unserem neuen Zuhause, zu einem meiner neuen Lieblingsorte ­geworden. Ein schöner Ort an einem wunderbaren Platz. Von hier aus kann man wunderbar das Treiben rundherum beobachten und spannende Leute kennenlernen, die, wie ich auch, in der Nähe wohnen. Ich freue mich sehr darauf, noch mehr zu entdecken, in den Läden, die es rund um den Neumarkt hat.
Übrigens, auch unsere Wohnung atmet Geschichte und hat eine bewegte Vergangenheit. Befindet sie sich doch in einem über 800-jährigen Haus, welches sich früher einmal im Besitz von Max Bill befand. Dieser vermietete es günstig an Studenten. Mein Partner behauptet sogar, es würde bei uns spuken. Ich habe bis jetzt zwar noch nichts bemerkt, bin aber überzeugt, es können nur liebe Gespens­ter sein.

Maria Eriksson


Unsere Gastschreiberin
Maria Eriksson (1967) ist in Smaland in Südschweden aufgewachsen. Sie absolvierte eine Ausbildung in der Pflege, kam mit zwanzig für ein Jahr als Au-pair nach Zürich – und ist geblieben.
Sie arbeitete in den Spitälern Triemli und Bethanien. Es folgten einige Jahre Familienzeit. Ab 2000 war sie zehn Jahre beim mobilen Blutspendedienst des SRK angestellt, seit vier Jahren arbeitet sie in der Klinik Susenberg. Kürzlich hat sie das Diplom als Pflegefachfrau HF erlangt.
Die Mutter von drei Söhnen (20, 18, 9) lebt seit kurzem mit ihrem Partner und ihrem jüngsten Sohn in der Altstadt.