Im tiefen Keller sitzen wir…

Zu Gast im Restaurant «Lindenhofkeller», seit 1878 gewirtet wird.

Auf dem Lindenhof ist alles historisch. Die Bäume sind es, der Brunnen, das Maisingen, Boule und Schach, das Panorama. Die Freimaurerloge zelebriert seit 1852 im ehemaligen Haus zum Paradies ihre Rituale. Und im heutigen «Lindenhofkeller», im Haus unter der Kapelle an der Pfalzgasse 4, wird seit 1878 gewirtet. Seit 1999 vom Maître Rôtisseur René K. Hofer.

Der Moränenhügel Lindenhof mit keltischer, römischer usw. Vergangenheit ist das Herz von Zürich und seine älteste öffentliche Grünanlage. Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531) schaffte eine Zeit lang die volkstümlichen Schützenfeste und auch die Heiligen-Prozessionen dort ab, weil «damit grosser Hoffahrt von Wib und Mannen erspart werde und viel unnützer Reden underwegen blieben». Tempi passati. Längst darf wieder Schach und Boule gespielt und ganz allgemein gefeiert werden. Der «Lindenhofkeller», der seit 1955 so heisst, ist ein historisches Lokal mit einem Gewölbekeller und dem romantischen «Lounge-Garten» im Hinterhof. Rechtzeitiges Reservieren ist sehr zu empfehlen.

Ladies Cut Kalbsrücken
Gepflegt wird, nachhaltig, eine klassisch-konservative Küche, die sich aber «neumödigen» Kombinationen nicht verweigert, im Gegenteil. Die Küche grüsst mit einem Löffelchen Gazpacho. Man hätte zwar eine tolle Qual der Wahl. Aber die Hausspezialität, der niedergegarte Schweizer Kalbsrücken, muss einfach sein, ob Ladies cut (Fr. 41.–) oder medium cut (Fr. 49.50).
Mein liebster Mitesser, gebürtiger Innerschweizer, kaprizierte sich auf das Bierschwein vom Wandelerhof in ­Gunzwil und erklärte mir en passant, warum der Landessender nicht «Radio Gunzwil» genannt wurde, obwohl er auf dem Gebiet dieser hablichen Lu­zerner Bauerngemeinde stand. «Beromünster» habe eben definitiv vornehmer getönt.
Als Vorspeisen teilten wir uns ein Trio von Gänseleber (Terrine mit Apfelchutney, klassische Gänseleber und ein zauberhaftes Flan, ein «Caramel­köpfli», dessen Rezept René Hofer als Geheimnis hütet) und das «Tartar von der kalt geräucherten Zürichsee-Felche auf Fenchelsalat». Das genussvolle Teilen praktizierte die so charmante wie kompetente Servicefrau übrigens ganz selbstverständlich, was es ja bei weitem nicht überall ist. Sie empfahl uns ohne Zögern einen Grünen Veltliner, was sich als Volltreffer erwies. Zum Hauptgang genossen wir auf Empfehlung des Chefs den roten «L’enfant perdu» 2012 des ehemaligen Zürcher Bankers Marcel Bühler, der, auch lyrisch ambitioniert, im französischen Languedoc-Roussillon in der Nähe von Perpignan seine Weinberge gefunden hat, die «Domaine des Enfants». Seinem verlorenen Kind wird der entde­ckungsfreudige Weinfreund jederzeit gern ein Zuhause anbieten. – Der ­«Lindenhofkeller» war an diesem Abend voll besetzt, aber auch er hat mit ­ehrgeiziger Konkurrenz und einem schwierigen Markt zu kämpfen. Knapp zehn Prozent der Gäste sind Touristen, die grosse Mehrheit aber Geschäfts­leute, die namentlich am Mittag schon lange nicht mehr auffahren lassen wie ihre Vorgänger, sondern manchmal nur Mineralwasser degustieren.

Hochkarätige Weinkarte
Der «Lindenhofkeller»-Keller ist legendär. 600 Positionen sollen es sein – wir haben nicht nachgezählt. Klassiker und Trouvaillen sind gut gemischt. Allein die Karte mit den Süssweinen umfasst drei Seiten, die gesamte Weinkarte ist eine Bibel des Wohlbehagens.
Zum Dessert hätten wir ja gern – wie unsere Tischnachbarn – dem verlo­ckenden, sehr gepflegten Käsewagen die Ehre erwiesen. Aber das königliche Mahl und die reichlichen Portionen setzen unserer Gier Grenzen. Wir teilten uns ein italienisches Lemonen-­Semifreddo, begleitet von Orangenkompott mit Vanilleschaum und liessen einen in jeder Beziehung geglückten, genussvollen Abend ausklingen. Der «Lindenhofkeller» gehört mit seiner tollen Küche und der vom gut gelaunten Chef ausstrahlenden freundlichen Atmosphäre zu unsern fünf Top-Restaurants im Kreis 1.

Esther Scheidegger

Restaurant «Lindenhofkeller», Pfalzgasse 4,
8001 Zürich, Tel. 044 211 70 71, www.lindenhofkeller.ch. Öffnungszeiten Montag bis Freitag 11.45 bis 15 und 18.15 bis 23.45 Uhr. Samstag und Sonntag geschlossen.