«Fernes Donnergrollen»

Matthias Senn berichtet von einer Ausstellung des Literaturmuseums Strauhof.

Die Erinnerung an den vor hundert Jahren ausgebrochenen Ersten Weltkrieg ist zurzeit ein beherrschendes Thema der verschiedensten Medien. Eine Flut von Büchern, Dokumentarfilmen, Ausstellungen und Veranstaltungen beschäftigt sich mit der die Welt damals in den Grundfesten erschütternden Katastrophe.
Auch das Literaturmuseum Strauhof hat die Gelegenheit wahrgenommen, sich in einer Ausstellung – es ist die letzte, die unter der Leitung des scheidenden Museumsleiters Roman Hess gezeigt wird – der Deutschschweizer Literaturproduktion während der vier Schicksalsjahre zu widmen.
Vor dem Grauen des Schreckens in den Schützengräben ausserhalb der Schweiz, das im Prolog der Ausstellung mit grossformatigen Fotos vergegenwärtigt wird, nehmen sich die damals erschienenen Werke schweizerischer Schriftsteller provinziell und harmlos aus. Überrascht stellt man fest, dass heute kaum mehr bekannte Autoren wie Jakob Christoph Heer, Heinrich Federer, Alfred Huggenberger oder Ernst Zahn mit ihren in Deutschland gedruckten Heimatromanen grossen Erfolg hatten und hüben wie drüben massenhaft gelesen wurden. Das Kriegsgeschehen war darin kein Thema, eine kritische Auseinandersetzung damit fand erst recht nicht statt.
Am Beispiel von Ernst Zahn zeigt sich die Problematik der Kriegspropaganda, die in der neutralen Schweiz zu Spannungen zwischen Deutsch und Welsch führten: 1913 zum Präsidenten des Schweizerischen Schriftstellerverbandes gewählt, musste Zahn dieses Amt bereits im Jahr darauf wieder abgeben, weil er bei Kriegsbeginn begeistert für das Deutsche Reich Partei nahm und sich damit erbitterte Feinde schuf.
Ausländische Autoren, Pazifisten, Sozialisten, die sich als Emigranten in der Schweiz aufhielten, veröffentlichten ihre Schriften in schweizerischen Verlagen; dabei spielte der Zürcher Verlag von Max Rascher eine bemerkenswerte Vorreiterrolle. Eine weitere Gruppe von Intellektuellen und Künstlern scharte sich um Hugo Ball: die Dadaisten, die im Cabaret Voltaire ihr «Unwesen» trieben und sich in aufrührerischer Weise, von den einheimischen Zürchern kaum beachtet, gegen die Sinnlosigkeit des Krieges wehrten.
Im ersten Stock des Literaturmuseums lädt eine eindrückliche Installation von Hörstationen ein, sich in die Texte der zum Teil zu Recht vergessenen Schweizer Autoren jener Zeit zu vertiefen. Die Hauptstränge der literarischen Produktion werden hier anhand von vier Schauplätzen veranschaulicht: das Erlebnis der Soldaten im Kantonnement an der Grenze, der Patriotismus der Schützenfeste, die Literatur der Elite aus der Bürgervilla und die proletarisch-sozialistischen Texte aus den Mietskasernen.
In der bis zum 30. November dauernden Ausstellung sind einige überraschende Einblicke und Entdeckungen zu diesen bewegten Kriegsjahren in der deutschen Schweiz zu machen.

Matthias Senn

Literaturmuseum Strauhof, Augustinergasse 9.
Offen Dienstag bis Freitag 12 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 18 Uhr, Montag geschlossen.