Vom Landmeitli zur Präsidentin

Unsere Gastschreiberin Hanna Lienhard ist auf dem Land aufgewachsen und kennt die Schule von allen Seiten: als Schülerin, Lehrerin, Schulpflegerin und Schulpräsidentin.

Vor bald vierzig Jahren lernte ich die Altstadt kennen. Meine Schulfreundin und ich durchquerten vom HB kommend meist im Eilschritt die Gassen, um rechtzeitig im Stadelhofen zu sein. Wir besuchten das Unterseminar der damaligen Töchterschule.
Das Schulhaus war noch ganz neu. Erst viel später merkte ich, in welch schönem Bau ich lernen durfte. Viele Jahre später betrat ich das Gebäude wieder einmal. Ich benützte es als Abkürzung vom Zeltweg zum Bahnhof Stadelhofen. Sofort tauchten Erinnerungen auf an Schulstunden und Lehrpersonen. Am eindrücklichsten aber war, wie vertraut mir die Treppenstufen mit dem kurzen Abstand von Tritt zu Tritt noch immer waren. Ich sah mich beim Hinunterhüpfen wie damals, zwei Stufen aufs Mal nehmend, um nicht zu spät zur Stunde zu kommen.

Sieben Geschwister
Als Landmeitli wurde ich so das erste Mal mit der Stadt vertraut. Ich wuchs in Regensberg in einer Bauernfamilie auf. Meine fünf Brüder und meine Schwester besuchten dort die Gesamtschule mit allen sechs Jahrgängen, unterrichtet vom «Herrn Lehrer». So nannte ihn Klein und Gross. Rund 20 Schulkinder lebten in den Fünfzigerjahren im kleinen Städtchen. Den Jahrgang 1951 hatten nur Max und ich. Die Sekundarschule besuchten wir «von der Burg» (so nannte man im Unterland das Städtchen) dann in Dielsdorf.
Ich wollte Lehrerin werden. Nach den drei Jahren Sek kam ich deshalb an die «Töchti». Wenn wir Zeit hatten, leisteten meine Freundin und ich uns einen Abstecher in die damalige Bäckerei Karli am Neumarkt. Da gab es feine Zigerkrapfen. Nach Schulschluss bummelten wir manchmal dem Limmatquai entlang. Der «Blumen-Fritz» hatte unter den Bögen schon damals, als noch junger Mann, seinen Stand. Jaja, es seien immer viele junge Frauen an seinem Stand vorbeigekommen, bestätigte er mir vor kurzer Zeit. Kein Wunder: in der Nähe befanden sich ja grad drei Schulhäuser für Zürcher Töchter.

Ferien in der Altstadt
Einmal hatte ich etwa zwei Wochen lang ein ganz besonderes Privileg. Meine Freundin aus der Primarschulzeit hauste während ihrer Lehre, die sie in der Altstadt absolvierte, in einer Kammer hoch oben im Haus des Cafés Schober. Ihr Vater hatte dort eine Wohnung für seinen Verlag gemietet. Sven Knebel war das, der zusammen mit Felix Rellstab die Kunst- und Literaturzeitschrift Spektrum herausgab. Meine Freundin gab mir für ihre Sportferienzeit den Schlüssel. Das Zimmerchen hatte keine Heizung. Die Toilette befand sich einen halben Stock tiefer. Für diese brauchte es einen speziellen Schlüssel. Den aber fand ich während der zwei Wochen nicht. Zum Glück wohnte der Bruder einer Semikollegin am Rindermarkt oberhalb des «Oliver Twist». Ich durfte seine Nasszelle benutzen. So eilte ich abends und am Morgen früh halt vom Napfplatz an den Rindermarkt, um erleichtert zurückzukehren.
Nach drei Jahren Tätigkeit als Primarlehrerin in einer Landgemeinde genoss ich in der Altstadt dann nur zu gern das Studentenleben: die «Öpfelchammer» und das «Isebähnli» waren für mich einschlägige Orte. Von 1975 bis 1977 absolvierte ich die Sek- und Fachlehrerausbildung. Die didaktische Ausbildung fand vorwiegend im Schulhaus Hirschengraben statt. Nie hätte ich mir denken können, einmal in diesem Schulhaus ein- und ausgehen zu dürfen und nebenan im schönsten Büro der Stadt arbeiten zu können.

Spannende Aufgabe
Dies wurde wahr, als ich im Herbst 1998 mein Amt als Schulpräsidentin vom Schulkreis Zürichberg antrat. Dass ich am Hirschengraben im «Haus zum Krönlein» arbeiten kann und dass ich eine höchst interessante, spannende Aufgabe habe, freut mich nach wie vor sehr. Rund 3200 Kinder besuchen die Volksschule im Schulkreis in unseren 17 Schulhäusern. Einiges hat sich in den Schulen in den letzten Jahren geändert. Das Volksschulgesetz wurde angepasst, es sind Schulleitungen eingesetzt, wir haben Blockzeiten und Frühenglisch und integrieren in unseren Klassen auch Kinder mit heilpädagogischem Bedarf. Die geänderte Zuteilungspraxis des kantonalen Volksschulamts an Lehrerstellen hatte zur Folge, dass wir die Einzugsgebiete zu den einzelnen Schulanlagen verändern mussten. Die Klassen sind überall gross, alle vorhandenen Räume werden intensiv genutzt; dies wegen steigender Klassenzahlen in einzelnen Quartieren, vor allem aber wegen der ausserschulischen Betreuung, die auch in unseren bestehenden Schulen stattfinden muss.
Mitte August gebe ich den Schlüssel des Sekretariats der Kreisschulpflege Zürichberg ab, mit viel Wehmut, aber auch mit vielen wunderbaren Erinnerungen an sechzehn Jahre Tätigkeit als Schulpräsidentin. Ich werde die Aufgabe und die vielen Menschen vermissen, die ich kennenlernen durfte und mit denen ich arbeiten kann.
Ebenfalls vermissen werde ich das Glockengeläut der Altstadtkirchen am Freitagabend, den Blick auf die farbige Adventsbeleuchtung am Neumarkt, die ich jeweils von meinem Bürozimmer aus sah, die fröhlich spielenden Kinder auf dem Pausenplatz Hirschengraben und anderes mehr.
Ich freue mich aber auch auf freie Zeit, um zum Beispiel in Ruhe durch die Gassen zu bummeln, bei Helen Faigle ein feines Brötchen und eine schöne Rose zu kaufen, an lauen Sommerabenden vor dem Zunfthaus Neumarkt einen Apéro zu trinken, Altstadtbewohnern und -bewohnerinnen auf den Gassen zu begegnen.

Hanna Lienhard

Unsere Gastschreiberin
Hanna Lienhard (1951) ist in Regensberg aufgewachsen. Sie absolvierte an der Töchterschule Stadelhofen das Unter-, sodann das Oberseminar und arbeitete drei Jahre als Primarlehrerin, bevor sie an der Uni die Sekundarlehrerausbildung machte. Nach vier Jahren Tätigkeit als Sekundarlehrerin folgte die Familienphase. 1985 zog sie mit ihrer Familie von Samstagern nach Zürich Wollishofen, wo sie für die FDP 2 im Schulkreis Uto in der Schulpflege war. 1994 bis 1999 war sie im Gemeinderat. Seit 1998 ist sie Präsidentin des Schulkreises Zürichberg, zu dem der Kreis 1 gehört. Im August legt sie ihr Amt nieder. – Die Mutter von drei erwachsenen Kindern lebt mit ihrem Mann Hansruedi Lienhard, dem Friedensrichter der Kreise 1 und 2, in Wollishofen.