Ein bewegtes Leben

Am 20. Juni jährte sich der Geburtstag von Laure Wyss zum hundertsten Mal, für den Zürcher Limmat Verlag Grund genug, eine ausführliche Biographie und ein Lesebuch mit gesammelten Texten der Autorin herauszugeben.

Das gründlich recherchierte Buch von Barbara Kopp zeichnet den Werdegang der eigenwilligen Journalistin und Schriftstellerin anschaulich anhand der Stationen des bewegten Lebens: Kindheit und Jugend im behüteten Milieu in Biel, Verlassen des Elternhauses, Studium in Paris, Zürich und Berlin, Heirat, Aufenthalt in Stockholm, wo sie sich in Emigrantenkreisen bewegt und Schriften der Bekennenden Kirche übersetzt.
Dann Rückkehr in die Schweiz, Scheidung, journalistische Tätigkeit als Redaktorin einer Zeitungsbeilage für Frauen, Schwangerschaft und Geburt des Sohnes. Im noch jungen Schweizer Fernsehen präsentiert sie ein Magazin für die Frau, moderiert Diskussionssendungen und wird schliesslich Redaktorin beim Tages-Anzeiger, wo sie die Leitung des neu gegründeten «Tages-Anzeiger-Magazins» übernimmt, dessen Inhalt sie wesentlich mitbestimmt. Als geschiedene, berufstätige, alleinerziehende Mutter eines ausserehelichen Kindes entspricht Laure Wyss so gar nicht dem damals üblichen Frauenbild. Das lässt man sie in der gutbürgerlichen Nachbarschaft im Zürcher Oberdorf, wo sie über fünfzig Jahre wohnte, auch weidlich spüren, ein Umstand, der ihre journalistische Arbeit stark geprägt hat.
Ob allerdings ihr Privatleben mit den verschiedenen Männergeschichten so detailliert ausgebreitet sein muss, wie das bei Kopp geschieht, fragt sich, wer die in diesen Sachen sehr diskrete Laure Wyss näher gekannt hat.

Wertvolle Einblicke
Über die Lebensbeschreibung hinaus aber vermittelt der lesenswerte Band wertvolle Einblicke in die schweizerischen Verhältnisse, mit denen sich Laure Wyss auseinandersetzte: Das Umfeld im Davos der Kriegsjahre etwa, wo die Nazis sich unangenehm in Szene setzten, der Kampf um Gleichstellung und politische Rechte der Frau, an dem sie als engagierte Autorin aktiv und nicht immer im Sinn der «offiziellen» Frauenrechtsbewegung teilnahm – Stichworte Frauenstimmrecht, «SAFFA» und das Skandalbuch «Frauen im Laufgitter» von Iris von Roten, das Laure Wyss als eine der wenigen positiv beurteilte – oder die Entwicklung von Fernsehen und Printmedien, die sie mit ihren Beiträgen direkt beeinflusste. Das Bild der «leidenschaftlich Unangepassten» wird ergänzt mit kurzen «Feststellungen» Dritter, eines entfernten Verwandten, einer Freundin aus der Davoser Zeit, des jüdischen Emigranten, der als Flüchtlingsbub ein Jahr im Davoser Haushalt verbrachte, eines Mitarbeiters beim Tagi und insbesondere des Sohnes Niklaus, der einige Episoden aus seiner Jugend beisteuert. Zwölf Abbildungen aus knapp siebzig Jahren rufen zudem die bis ins hohe Alter elegante Erscheinung von Laure Wyss in Erinnerung.

Dazu ein Lesebuch
Was in Kopps Biographie einzig zu kurz kommt, ist die Bedeutung von Laure Wyss’ literarischem Werk. Erst nach ihrer Pensionierung hat sie sich intensiv und mit Erfolg als Schriftstellerin betätigt und darin letztlich ihre Berufung gesehen. Dieser Mangel wird etwas wettgemacht mit der gleichzeitigen Publikation des Lesebuchs, dessen Auswahl – Gedichte, Erzählungen, Ausschnitte aus Romanen und einige bisher unveröffentlichte Texte – die Qualität und Aktualität ihres dichterischen Schaffens belegt.

Matthias Senn


Barbara Kopp: Laure Wyss. Leidenschaften einer Unangepassten. Limmat-Verlag, Zürich 2013. 352 Seiten, Fr. 44.–.
Laure Wyss, Lesebuch. Herausgegeben von Hans Baumann und Elisabeth Kaestli, Limmat-Verlag, Zürich 2013. 176 Seiten, Fr. 32.–.