Baustelle in luftiger Höhe

Seit einiger Zeit steht ein Gerüst am Predigerchor, das sich erhebt bis zur Spitze des Dachreiters, des auf dem Dachfirst ruhenden Glockenturms. Dieser nämlich wird zurzeit instand gesetzt.

Das damalige Predigerkloster hatte keinen Kirchturm. Einzig vom Dachreiter des Chors rief eine Glocke die Dominikanermönche zum Gebet. Das Kloster war 1230 gegründet worden, der Chor wurde 1323/1324 errichtet; aus dieser Zeit stammt der Dachstuhl, der damit der älteste der Stadt ist. Ebenso die älteste ihrer
Art in Zürich ist die Glocke, die gemäss Inschrift aus dem Jahre 1451 stammt. Die ältesten Teile des Dachreiters wiederum sind aus den 1470er-Jahren.
Weil der Dachreiter in luftiger Höhe Wind und Wetter besonders stark ausgesetzt ist, stürzte er offenbar bereits zweimal in die Tiefe. So wird berichtet von einem Neuaufbau im Jahre 1594 sowie von einem Ersatz nach Windzerstörung 1629. Im Jahr 1779 wurden Reparaturen nach Sturmschäden verzeichnet.
Erst 1899/1900 wurde übrigens der Kirchturm erbaut, mit seinen knapp 100 Metern der höchste der Stadt.
Der Dachreiter wurde 1975 letztmals eingerüstet zwecks Reparaturarbeiten. Im Zuge von Arbeiten am Dachstuhl 2010 wurden Schäden am Dachreiter festgestellt, die es nun
zu beheben gilt. So muss die Statik wieder in Ordnung gebracht werden, denn einige der vertikalen Verstrebungsgestänge haben sich gelockert. Etliche Holzbalken müssen verstärkt oder ersetzt und diverse Spenglerarbeiten ausgeführt werden. So sollen auch die kunstvollen Wasserspeier aufgefrischt werden. Ebenso werden die spröde gewordenen Schindeln der Spitzhaube ersetzt.
Emil Rebsamen, Leiter Gebäudemanagement der Zentralbibliothek, die den Chor seit Jahrzehnten nutzt und die als Bauherrschaft auftritt, ermöglichte einen Augenschein in der Höhe. Ein Baulift führt die ersten vierzig Höhenmeter hoch bis zu einer Plattform, von wo der Aufstieg zu Fuss weitergeht. Schliesslich erreicht man auf rund 62 Meter Höhe die Spitze des Dachreiters. Überwältigend, der Rundblick von da oben!
Die normalerweise zuoberst prangende vergoldete Kugel ist entfernt worden und deren Inhalt wird zurzeit von einem Historiker analysiert. Denn es ist der Brauch, dass bei jeder Gelegenheit, sprich Reparaturarbeiten, Zeugnisse der Gegenwart in die Kugel gelegt werden. So befand sich unter anderem eine Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung aus dem Jahr 1881 in der Kugel sowie Dokumente auf Pergament aus den 1790er-Jahren. – Was man wohl diesmal der Kugel beigeben wird? Einen elektronischen Datenträger vielleicht? Was würden künftige Generationen damit anfangen können?
Derzeit ist man noch mit der Bestandesaufnahme beschäftigt, laufen Materialbestellungen, werden Aufträge vergeben.
Die Sanierungsarbeiten, für die ein Kredit von 770 000 Franken gesprochen ist, sollen bis etwa Ende September abgeschlossen sein.

Elmar Melliger