Erbsli, Tötschli, Küssli, Schätzli

Viele Musiker, Autoren, Banker und vermutlich alle Schweizer Missen, Ex-Missen und Ex-Vize-Missen von 1928 bis heute sassen schon auf den Stühlen in Restaurant «Kaufleuten». Und mittendrin reckten unsere zwei Kulinarier die Hälse.

«Jetzt bin ich am Boden», sagte Sabrina Aberli, Chef de Service im Restaurant «Kaufleuten». Nicht dass Sie das falsch verstehen! Sie flog früher bei der Private Air von Europa nach Indien, in den Nahen Osten oder in die USA und zurück. «Aha, also mit Trolleys und so?» fragte ich zurück, stolz darauf, nicht «Wägeli» gesagt zu haben, sondern den Fachbegriff. «Trolleys?» sagte Frau Aberli, «nein, hatten wir keine. Die Jets hatten Betten. In Schlafzimmern.» Und flugs war sie weg, wie die bezaubernde Jeannie aus der TV-Serie, die uns vom Abendessen abhielt. Damals. Da war Frau Aberli noch gar nicht auf der Welt. «Jetzt bin ich am Boden», sagte ich. Herr Keck hob das Glas Sancerre (Fr. 9.50 der Dezi), blickte mich streng an und sagte: «Zum Wohl!» Wir prosteten uns über die Tischdekoration hin zu, «eine etwas kurz geratene Tulpe», wie Herr Keck bemerkte. Seine Firma lieferte einer Fluggesellschaft Knöpfe, erzählte er. Solche mit Hirschen drauf. Und einem Hotel in St. Moritz sogar echt vergoldete! «Schön ist es hier», sagte Herr Keck, «das Interieur sehr schön, schöne Spiegel für schöne Leute und eine prachtvolle Decke! Da passen die rotweissen Servietten wie bei Mama oder auf dem Bauernhof bestens dazu!»

Bricelets, «Klösschen» und Schrock
Wir pickten zum Apéro von den köstlichen Bricelets. Eine Bauernfrau im Seeland fischt die flachen Waffeln einzeln (und tagelang) aus dem Eisen. Dann werden sie kistenweise nach Zürich gebracht. Ich steckte mir eine Zigarette an. «Diese Begrüssungen!» entfuhr es Herrn Keck, «sie nehmen kein Ende! Alle küssen alle! Und warum heissen alle Schätzli? Wie oft wird eigentlich an einem 16er-Tisch wie dem dort drüben geküsst?» Er begann zu zählen, worauf wir beide laut lachten.
«Um 19 Uhr wurde der Saal geöffnet, um 19.05 war jeder Platz belegt», sagte Patrik Gertschen, der Chef der Gastronomie Kaufleuten. Er hatte sich zur Begrüssung kurz aus dem Saal entfernt. Dort wurde debattiert, wie deutsch denn Zürich sei. Hm. Auf der Tageskarte im «Kaufleuten» stand jedenfalls Steinpilz-Kraftbrühe mit Griessklösschen (Fr. 15.–) statt Consommé und Gnocchetti. Eine Brühe schmeckt einfach anders als eine Consommé. Die «Klösschen» schwammen vor mir, während Herr Keck seine Spanische Zwiebelsuppe mit Serranoschinken und Sherry (Fr. 13.50) löffelte und befand, sie sei «sehr gut, schmackhaft und doch nicht zu zwiebelig».
Es half, dass Herr Keck auf einen österreichischen Zweigelt von Heidi Schrock (Fr. 7.– der Dezi) gewechselt hatte. «Angenehm fruchtig und gehaltvoll», lobte er. Das Nachbestellen fiel ihm nicht schwer.

Chübeli, Tötschli, Seeli
Ich genoss meinen Pinot Grigio von Lageder (Fr. 10.– der Dezi), wie immer tadellos. Serviert wurde das Zweierli in einem Silberkübel mit Eiswürfeln. Très chic. Wie die Krawatte des aufmerksamen und sehr freundlichen Kellners mit Namen Dani. «Müssen Sie Krawatte tragen?» – «Nein», antwortete der junge Mann, «wir dürfen!» Er brachte mir die Hacktötschli (oder Hacktätschli) mit Kartoffelstock und Seeli, Erbsli und Rüebli (Fr. 34.–). Herr Keck erzählte, sein Vater habe seiner damaligen Braut gesagt, der Sohn esse immer gern Erbsli, er putze sich sogar die Zähne mit Erbsli! Herr Keck war mit seinem Rindscarpaccio mit Rucola und Parmesanstücklein (Fr. 31.–) glücklich, gab aber beim Dessert Forfait. Ich bestellte die Ananas mit Honig und Doppelrahm (Fr. 12.50) und ass sie bis auf die Schale weg.
Weil man in Zürich im Restaurant noch kurze Zeit rauchen darf, blieben wir gemütlich sitzen, schenkten Wein nach und tranken einen wirklich vorzüglichen Espresso (Fr. 5.–).

Restaurant «Kaufleuten», Pelikanplatz, 8001 Zürich, Tel. 044 225 33 33, www.kaufleuten.com. Täglich geöffnet. Küche Montag bis Donnerstag 11.30 bis 14 Uhr und 18.30 bis 23 Uhr, Freitag von 11.30 bis 14 Uhr und 18.30 bis 1 Uhr, Samstag 12.30 bis 1 Uhr durchgehend, Sonntag 18.30 bis 23 Uhr durchgehend.

René Ammann*

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Ammann, dann wieder Herr Keck.쇓