An der Augustinergasse daheim

Am Sechseläutensonntag feiern Hanny und Bruno Haug ihren sechzigsten Hochzeitstag, mit einem grossen Fest mit Kindern und Enkeln.

Bruno Haug wurde am 16. April 1922 geboren und seit diesem Datum hat er mit einer Ausnahme immer an der Augustinergasse 38 gelebt. Seine Mutter starb zehn Tage nach seiner Geburt. Die Grossmutter, die im gleichen Haus wohnte, sorgte für ihn. So gut, dass er, als sein Vater sich zehn Jahre später wieder verheiratete, nicht mit ihm wegzog.
1901 kaufte der Grossvater von Bruno Haug die Liegenschaft Augustinergasse 38. Er war Bürstenfabrikant. Im Hinterhaus wurden Bürsten für jede Berufsgattung wie Kaminfegerbürsten, Zeichnungsbeseli, Schuhbürsten, Haarbürsten produziert und vorne im Laden verkauft. Als der Grossvater 1918 starb, führten die Grossmutter und eine Tante von Bruno Haug den Betrieb bis 1964 weiter. Danach kam Capriccio Schuhe GmbH. Eine Tante des jetzigen Besitzers Peter Krüsi eröffnete den Laden.
Die ersten sechs Jahre besuchte Bruno Haug das Schulhaus am Schanzengraben. Die Nüschelerstrasse ging damals nur bis zur Pelikanstrasse, sie war nicht durchgehend und es gab kleine Häuser mit Gärten. Da hatte der Kinderarzt seine Praxis, dorthin ging Bruno Haug, wenn er krank war.

Branchenmix
An der Augustinergasse gab es zwei Metzgereien, eine obere, da wo heute Vivaia ist und eine untere, wo heute Valverde ist. In die obere Metzgerei gingen die besser situierten Leute, in die untere gingen die Dienstmädchen. Es gab die Drogerie Wernle, die Papeterie Spretzler, das Blumengeschäft, den Zigarrenladen, die Confiserie Tobler und Hirzel,
die später Marcel Chardon übernahm, es gab den Milchladen, das Delikatessengeschäft Kuster und die Bäckerei, es gab die Mercerie von Frau Fisch, das Korsettgeschäft und den Stoffladen und es gab das Restaurant «Augustiner». In den Hinterhöfen hatten die Spengler, Drechsler, Tapezierer, Schlosser, Maler und Bürstenfabrikanten ihre Werkstätte. In den Wohnungen über den Läden wohnten Eigentümer und Handwerker mit ihren Familien. Die zahlreichen Kinder spielten in der Gasse und auf dem Lindenhof. Im Sommer badeten sie in der Männerbadeanstalt beim Schiffssteg am Bürkliplatz.

Veränderungen
Die ersten Veränderungen bahnten sich an, als zu Beginn der Achtzigerjahre vom Generalunternehmer Steiner Pläne für den Abriss der Häuser bestanden. Das Vorhaben konnte nicht realisiert werden. Robert Holzach von der Schweizerischen Bankgesellschaft ermöglichte die Sanierung des Augustinerquartiers samt Fünfsternehotel Widder am Rennweg. Robert Holzach war auch an der Liegenschaft Augustinergasse 38 interessiert und machte Bruno Haug ein Angebot: Tausch der Liegenschaft 38 gegen eine neu renovierte Liegenschaft eingangs Augustinergasse von der Bahnhofstrasse her kommend. Bruno Haug schlug das Angebot aus, renovierte aber seine Liegenschaft im Zuge
der Sanierung der Augustinerhäuser. Das war das einzige Mal, wo er ausserhalb der Augustinergasse 38 wohnte. Während des Umbaus war sein Domizil für anderthalb Jahre in Witikon.
Fast könnte man meinen, Bruno Haug sei nie über die Augustinergasse hinausgekommen. Bei weitem nicht. Nach der Sekundarschule im Schulhaus Hirschengraben war sein Berufsziel Innenarchitekt. Um aber an die Kunstgewerbeschule aufgenommen zu werden, musste er zuerst eine Möbel- und Bauschreinerlehre absolvieren. Die Kunstgewerbeschule dauerte vier Jahre,
weil er immer wieder zum Aktivdienst aufgeboten wurde. Es waren insgesamt über siebenhundert Diensttage.
Als Innenarchitekt arbeitete er zuerst beim renommierten Architekten Schneider, der unter anderem das Café Plätzli und den «Grünen Heinrich» realisierte. Weiter war er als Filialleiter eines Möbelgeschäftes zuständig für den Entwurf und den Verkauf. Bei Globus war seine Stelle zuerst befristet für ein Jahr. Daraus wurden fünfunddreissig Jahre, bis zu seiner Pensionierung. Bruno Haug hatte die Leitung für Möbel und Teppiche und er bereiste in dieser Funktion die ganze Welt.
Bruno Haug war ein begeisterter Skifahrer, als einer der ersten hatte er Carving-Skis. Nach seiner Pensionierung entdeckte er das Velofahren. Zahlreiche Preise zeugen von seinem Durchhaltevermögen. Velo fährt er jetzt nicht mehr, dafür setzt er sich auf den Hometrainer.

Verlobung 1947
Seine Hanny hat Bruno Haug bei gemeinsamen Bekannten kennengelernt. 1947 haben sie sich verlobt, wie das damals so üblich gewesen sei und am 19. April 1949 haben sie geheiratet. Hanny Haug ist nicht an der Augustinergasse aufgewachsen, sie kommt aus der Ostschweiz. Ihr Vater hatte eine Käserei mit Gasthaus und einen Weinberg. Als Stadtbub hat sich Bruno Haug in dieser Umgebung gut gemacht. Geschickt legte er Hand an, wo immer es nötig war. Und umgekehrt kann sich Hanny Haug, die seit sechzig Jahren an der Augustinergasse wohnt, ein Leben ausserhalb dieser charmanten Gasse schwer vorstellen.

Madeleine Bächler