Mitten im Niederdorf: Die Häringstrasse

Die Häringstrasse führt von der Niederdorfstrasse hoch zur Zähringerstrasse und weiter zum Seilergraben. Lesen Sie etwas zur Geschichte der Häuser und zu deren heutiger Nutzung.

Die Häringstrasse ist die kurze Verbindungsstrasse zwischen Niederdorfstrasse, Zähringerstrasse und Seilergraben. Der Teil unterhalb der Zähringerstrasse stammt zum Teil aus dem Mittelalter. Im oberen Teil befand sich der Friedhof des Spitals. Die Blockrandbebauungen stammen aus dem 19. Jahrhundert.

Häringstrasse 1 / Niederdorfstrasse 46
Dieses hübsche Altstadthaus, genannt «Zum Sunnezyt», wurde 1976 saniert. Dabei kam eine Riegelkonstruktion zum Vorschein, welche aber in ihrem schlechten Zustand wieder verputzt werden musste. Gleichzeitig wurde auch die Sonnenuhr restauriert. Damit der Laden etwas mehr Platz erhielt, versetzte man die Eingangstüre vom kleinen Plätzli an die Niederdorfstrasse.
Seit 29 Jahren führt das Ehepaar Müller den gemütlichen «Chäs-Chäller». Neben dem vielseitigen Sortiment führen Müllers eine grosse Auswahl an Käse – eine der Spezialitäten ist das «Altstadt-Fondue», Brot vom Bertschi-Beck und den «Sunnebärg-Stockanke», welcher eine kleine Odyssee (von Chäs-Hebise zu Müdespacher und zuletzt hierher) hinter sich hat. Vor dem Schaufenster lädt ein «Chäschüechli-Bänkli» zum Verweilen ein. «Chäs-Chäller», Familie Müller, Tel. 044 251 38 92.

Nr. 2, «Zur Jagd»
Das Steinhaus aus dem 13. Jahrhundert mit Riegelwerk auf der Hofseite beherbergte während 500 Jahren eine Schmitte und seit 1790 eine Hufschmiede. 1895 wurde daraus die Wirtschaft «Zur Schmiede». Sie war berühmt für ihre Fleischküche und hatte im Keller eine eigene Metzgerei. Die Gaststube verkörperte in ihrem Interieur zuletzt den Stil der Landi 1939 und besass ein Wandbild der Liegenschaft mit der ehemaligen Hufschmiede. Heute ist darin der Night Club «Dolce Vita».

Nr. 3, «Haus zum Häring»
Das Haus ist auf dem Müller-Stadtplan von 1793 bereits vermerkt und war Pfrundhaus eines Dekans vom Grossmünster. Den kleinen Platz, früher auch Häringplätzli genannt, ziert ein runder kleiner Brunnen, geschmückt mit einem Hering. Im Hause sind der Treffpunkt «Speak out» und die Beratungsstelle «Herrmann». Das hübsche Ladenlokal hat ebenfalls eine wechselvolle Geschichte. Um 1900 war hier mal der Lebensmittelverein Zürich, später ein Lädeli ums andere und heute wirkt Priska Meier im «Strubelpeter».
Ihr Coiffeursalon hat eine besondere Geschichte. Priska Meier feiert heute ihr 30-jähriges Berufsjubiläum. Seit 1979 war sie an der Spitalgasse, bis sie die Kündigung erhielt (Verkauf der Häuserreihe an Taxi-Meier). Nach Jahren an der Fortunagasse verschlug es sie an die Motorenstrasse im Kreis 5 und alle ihre Altstadt-Kundinnen folgten ihr. Aber immer wollte sie ins «Dorf» zurück und hatte nun das Glück, das kleine hübsche Ladenlokal am Häringplätzli mieten zu können. Auch ihre Kundschaft schätzt es, nicht mehr das Tram unter die Füsse nehmen zu müssen. «Strubelpeter», Priska Meier, Tel. 044 271 64 50.

Nr. 4, «Teuchel»
Im markanten Haus mit zwei Erkern, erbaut vor 1912, war zuerst die städtische Polizeiwache. Im Keller sind immer noch zwei Zellen zu sehen. Darin fand der Hausnachbar Röbi Egli einen Kassiber (Gaunersprache für heimliche Mitteilung eines Häftlings). Auch der Wasseranschluss für den Schlauch, mit dem die Polizei Betrunkene abwehrte, ist noch vorhanden. Jahrelang war dann ein Inneneinrichtungsgeschäft im Erdgeschoss und seit 25 Jahren führt Helen Lehmann hier ihr versponnenes Bücherparadies. Es ist eine Fundgrube für Raritäten – sie erfüllt aber auch sämtliche Bücherwünsche auf Bestellung. Nachdem immer mehr kleinere Buchhandlungen aufgeben, weil sie gegen die Grossen in der Branche kaum mehr konkurrenzfähig sind, ist es wichtig, diese wenigen zu unterstützen. Dabei hilft auch die städtische Liegenschaftenverwaltung, welche dieses Ladenlokal zu vernünftigen Konditionen vermietete. Calligramme Buchhandlung, Tel. 044 252 95 83.

Nr. 5, «Castorhut»
Das Haus wurde 1556 erbaut. Der Name stammt vermutlich von der Gerberei, welche Biberfell-Hüte fabrizierte. Jahrzehntelang arbeitete hier der Kohlenhändler Egli und lieferte mit seinem legendären Dreiradauto, genannt «Cholesurri» das Heizmaterial in die vielen Keller und Hinterhöfe in der Altstadt. Im angrenzenden Werkstattanbau war eine kleine Schokoladenfabrik, welche auf «Mohrenköpfe» spezialisiert war. Im ersten Stock war ein Fröntlerbüro (Nazis, welche auch hier im «Dorf» arbeiteten und denunzierten).
Seit über 50 Jahren ist hier die Handels- und Gewerbedruckerei von Rolf Zuberbühler, welche einst die «Zürcher Altstadt», die Zeitschrift über das Alte und Neue Zürich und offizielles Organ des Quartiervereins Zürich 1 rechts der Limmat, herausgab. Sie erschien sechs Mal jährlich und war am Kiosk für 60 Rappen erhältlich. Handels- und Gewerbedruckerei
R. Zuberbühler AG, Tel. 251 59 12.
Im verschachtelten Innenhof mit Fachwerkhäuschen befinden sich rare Parkplätze. Als 1979 ein Bagger die gestampfte Erde im Hof bearbeiten wollte, rutschte er in ein Gewölbe, in welchem sich um 1900 eine Volksküche befand; dabei kamen auch Töpfe und Pfannen zum Vorschein.

Nr. 6, «Vordere Sonnenlaube»
Das Haus wurde 1912 abgetragen.

Nr. 7, «Seidenfarbhaus»
Das Gebäude wurde vor 1812 erbaut und 1942 abgetragen, um den Platz für die Hofeinfahrt zu schaffen.

Nr. 9 / Zähringerstrasse 21
Das Haus war ein Magazin mit Hochkamin und einer grossen Tafel, wo Reklame für ein Variété mit gut geführter Küche im «Hirschen» am Hirschenplatz gemacht wurde.
Um 1929 abgetragen für den Neubau eines grossen Wohnhauses mit Bankfiliale.
1959 grosser Umbau zum Hotel Zürcherhof mit dem legendären «Walliser Keller». Die Fassade ist seither in einem warmen Rot-Ton gestrichen. 2007 wurde das Gewölbe des «Walliser Kellers» renoviert. Im Sommer mit Terrasse.
Dieses Jahr feiert der Zürcherhof sein 50-jähriges Jubiläum!
Hotel Zürcherhof mit Restaurant «Walliser Keller», Tel. 044 269 44 44.

Eckhaus Zähringerstrasse 17 / Häringstrasse
Anstelle eines stolzen Wohnhauses, erbaut 1883, wurde 1932 durch Stadtbaumeister Hermann Herter die Pestalozzi-Bibliothek mit Gant- und Feuerwehrlokal erbaut. Gesamtrenovation und Umbau 2006/2007. Dabei wurde im ersten Obergeschoss der grosse Lesesaal mit Lichtdecke aus Glasbausteinen und die Fassade in ihrem Originalzustand wiederhergestellt.
Beim Bau der Unterflurcontainer auf der Häringstrasse kam ein Sodbrunnen zum Vorschein, jetzt ist er gut zugedeckt.
Die obere Häringstrasse wird von zwei markanten Eckhäusern flankiert.

Häringstrasse 11 / Zähringerstrasse 20
Das sanft renovierte, in zartem Blau gehaltene Jahrhundertwende-Haus der Familie Braumandl, welche bereits seit 1904 ihre Zinngiesserei betreibt. Nach dem Tod von Eugen Braumandl hat jetzt sein Sohn Michael das Geschäft übernommen, assistiert von seiner Grossmutter, welche wieder oberhalb des Ladens wohnt. Zinngiesserei Braumandl, Tel. 044 251 20 24.

Häringstrasse 12
Das Haus an der Ecke rechts ist ebenfalls ein schöner Bau mit dem Salon Casy Hairstyling, Spezialist für Haarverlängerungen, Tel. 044 252 27 17.
Die folgenden Liegenschaften wurden 1879/80 im Stil der Gründerjahre erbaut. Sie haben zum Teil sehr schöne Balkone mit schmiedeisernen Geländern.

Nr. 14
Jahrelang war hier die Wäscherei und Glätterei Schatt mit einem Selbstbedienungs-Waschsalon.
Heute führt Coiffeur Alex von «Haarsturm» seine Styling-Stube für ein kunterbuntes Publikum. Haarsturm, Tel. 043 243 79 07.

Nr. 13 und 15
Früher eine Milchhandlung und heute werden hier feine Sushis fabriziert und als Take-away oder im Party-Service verkauft. Sushi Kalifornia, Tel. 044 380 30 30.
Daneben ist der originelle Laden mit Retro-Look-Fashion von 1940 bis 1990 und Fair Trade Schmuck und Taschen von Isabel Schumacher und Hans-Peter Däster.
Früher war hier das legendäre alkoholfreie Rock-Café Mary. Blenda Vintage, Tel. 043 243 63 94.

Nr. 17 und 19
Aparthotel «Rotlicht» mit Sex/Love-Solarium.

Nr. 16
Früher ein Elektrogeschäft, heute Macho-City-Shop (Videos und Zubehör für harte und zarte Männer).

Nr. 18
Hier war früher der WWF, dann Bettendiscount Kalbermatter und heute Extrem-Design von Josef Maria Erne. Er ist Spezialist für exzentrische Mode, führt beste Labels im Fetischbereich und ein Massatelier für aussergewöhnliche Wünsche in Leder und Lack sowie für Transvestiten.
Aber er ist auch Schiffskapitän auf seinem eigenen Taxi-Schiff.

Nr. 20, «Seilerhof»
War früher ein Hotel mit alkoholfreiem Restaurant, heute im Besitz der Zürcher Stadtmission mit Dargebotener Hand und Café Yucca.
Der ganze Häringhof wurde 1985/86 umfassend renoviert und erhielt im Jahr 2000 im Innenhof eine Einstellhalle mit Autolift. Darüber eine kleine Grünanlage mit Brunnen und Gartenbänken.

Nr. 21 / Seilergraben 45-49, «Pariserhof»
Baujahr 1882 bis 1885. Neubarock im Stil der französischen Mietpaläste aus den Gründerjahren. Wurde im Laufe der Jahre «verrenoviert», aber 1994 bis 1996 wieder in den grossstädtischen, ursprünglichen Zustand versetzt. Unter Denkmalschutz.
Im Haus 21 war früher ein Geschäft für Drahtzäune, heute Mirro-Coiffeur. Um 1971 zügelte Bettendiscount in den Pariserhof und seit 1989 führen Verena und René Kalbermatter in der dritten Generation das eingesessene Fachgeschäft für Schlafkomfort.
Wer hat nicht schon hier eine Matratze gekauft und dann nach Hause getragen? Bettendiscount, Tel. 044 252 05 42.
Es ist eine interessante und farbige Gasse und wenn man bedenkt, dass während des Krieges eine Baugesellschaft hier Häuser zusammenkaufte, um 1944 ein «Neu-Niederdorf-Projekt» zu realisieren… Glücklicherweise übernahm dann die Stadt die Liegenschaften.

Quellen: Baugeschichtliches Archiv, Esther Fuchs; Robert Egli (an der Häringstrasse aufgewachsen); Verena und René Kalbermatter; Hugo Stahel, Städtische Liegenschaftenverwaltung. Herzlichen Dank!

Ursi Strasser-Egger