Margherita, dreifarbig

Wo Adriano Celentano «Azzurro» schnarrt und die Margherita dünn und knusprig herbeispaziert, liessen sich unsere beiden Kulinarier nieder: im «Casa mia» nahe der Urania-Sternwarte.

Wer an jenem Mittwoch gegen 19 Uhr den Eingang zum «Casa mia» suchte, wurde überrascht von einer tumultösen Szene. Hunderte zappelnder Kinder in Wintermänteln. Mütter und Väter mit roten Nasen und Digitalkameras. Stehende Autokolonnen. Ein Weihnachtsbaum, auf dem zwei Dutzend Kinder mit Zipfelmützen aufgereiht waren wie Vögel auf einer Hochspannungsleitung, sie krähten in die Mikrophone. In welcher Sprache, blieb mir verborgen, denn die Polizei rückte mit Streifenwagen aus, die Sirenen zersägten die Lieder und teilten die Menge. – Herrn Keck und mir gelang die Flucht ins «Casa mia» mit seinen Pflanzen und den hübsch gedeckten Tischchen. Herr Keck sass im Nichtraucherteil, ich im Raucher. Beide am selben Tisch. Auf Herrn Kecks Seite Mütter mit Kindern, in meinem Rücken schweigende Paare im fortgeschrittenen Alter. Die unsichtbare Grenze von Rauchern zu Nichtrauchern lag bei Balsamico, Öl und dicker Kerze. Ich prostete mit einem Glas Aigle (Fr. 6.50 pro Dezi) auf den Abend zu. Herr Keck war vom Chaos um den kurzfristig verstummten «Singenden Weihnachtsbaum» draussen so fasziniert, dass er zur Kerze greifen wollte, um auf unser Wohl anzustossen, fand aber doch noch zu seinem Glas Roten, einem bekömmlichen Toskaner Sovana DOC 2004 (Fr. 7.50 der Dezi).

Stimmung? Wie daheim!
Herr Keck bestellte einen gemischten Salat (Fr. 10.50) und hausgemachte Lasagne (Fr. 25.–), ich einen grünen Salat (Fr. 9.–) und eine Pizza Margherita (Fr. 19.–). Die Stimmung in der «Casa mia» entspricht dem Namen: wie daheim in einem Haushalt mit vielen lebhaften Kindern und mehreren Generationen, die einigermassen friedlich unter einem Dach wohnen. Und über Kindern wie Silberlocken schwebten italienische Schlager wie «Ti amo», «Mamma Maria» oder «Azzurro», was hier und dort ein Fusswippen und Lächeln auslöste (auch bei Herrn Keck, der den Kopf im Rhythmus wiegte). Der Service ist aufmerksam, flink und höflich. Im Sommer hat das Lokal einen 100-plätzigen Garten, kann also fast so viele Gäste aufnehmen wie die drei Räume im Innern.

Troika, Turicum, Luigi, Casa mia
Herr Keck lobte seinen gemischten Salat über allen Klee, ich stimmte in seine Lobeshymne ein, denn mein grüner Salat enthielt nicht allein Kopfsalat, sondern Kresse, Nüssli, Chicorée, Eisberg und Tomaten. Die Pizza Margherita war formidabel. Krosser dünner Teig, Tomaten, Mozarella buffala und Oregano, drapiert in den italienischen Nationalfarben wie das Original aus Neapel, das im 19. Jahrhundert zu Ehren der Königin Margherita gebacken wurde. Von Herrn Kecks Lasagne blieb nichts übrig als ein Spürchen auf der Serviette, bevor er genüsslich zum Glas Amarone 2003 Randii (1 dl zu Fr. 6.50) griff. Auch mein Eiscafé (Espresso mit einer Kugel Vanilleglace und einer Waffel) schmeckte wirklich vorzüglich.
Das Lokal am Werdmühleplatz hat eine bewegte Geschichte. 1934 im damals neu erstellten Amtshaus V als «Café Troika» samt Flügel und Pianist eröffnet, herrschte in den Räumen jahrelang der Zürcher Frauenverein. Er baute um, beliess aber die Holzdecke mit russischen Motiven und das Wandgemälde von Alois Carigiet (beide unter Denkmalschutz), taufte es «Turicum» und verbannte den Alkohol von der Karte. Die Umsätze blieben auch nach Wiedereinführung von Alkohol mässig. Das Restaurant wurde 2003 untervermietet und in «Ristorante Pizzeria Luigi» umgetauft – und irgendwann muss der Carigiet verschwunden sein.
Ab 2004 hiess das Lokal «Casa mia» und wurde wegen der Pizze populär – und der damalige Pizzaiolo gar Schweizermeister im Pizzadrehen und -belegen. Geführt wird das Restaurant heute von der Italsprint, einer im Jahr 2005 gegründeten GmbH mit 20 000 Franken Kapitaleinlage. Hälftig gehört die Italsprint GmbH Hugo von Blumenthal, einem Treuhänder und Teilhaber der Branchenzeitung «Gastro-News». Die andere Hälfte gehört der Cordial Treuhand AG, in der Hugo von Blumenthal arbeitet und als Verwaltungsrat amtet. Geschäftsführer der Italsprint ist seit Beginn Agostino Andreatta, den Gästen bekannt als «Herr Toni». «Frau Toni» setzte sich zu uns. Frau Toni hat – wie ihr Gatte – einen bürgerlichen Namen, doch nennen sie sich lieber Herr und Frau Toni. Frau Toni lud uns zum Essen ein – vielen Dank! – und sagte: «Es soll kein Gast von hier unzufrieden weggehen!» Das können wir bestätigen.
Nach einem Stiefelchen Limoncello, einem Zitronenlikör aus der Gegend um Neapel, stiefelten wir zufrieden über den Jordan. Nicht, ohne dass sich Herr Keck mit einem (angedeuteten) Kuss auf den Handrücken von Frau Toni verabschiedete. Ich war Zeuge. Es war am 19. Dezember 2007, kurz nach 21 Uhr.

«Casa mia», Werdmühleplatz 3, 8001 Zürich, Montag bis Samstag von 10 bis 24 Uhr; Pizza und Pasta bis 23 Uhr. Sonntag geschlossen. Nichtraucherteil. Rollstuhlgängig. Kinderfreundlich. Tel. 044 211 13 16, www.restaurantcasamia.ch.

René Ammann

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Ammann, dann wieder Herr Keck.