Fix war hier – und Else auch

Der Garten des «Glockenhofs» ist für viele eine unbekannte Insel. Auch für den einen der zwei Kulinarier des Altstadt Kuriers.

Im Garten des «Glockenhofs», da schwelgte Herr Keck in Erinnerungen: Er kennt das «Gloggi» als Pfadfinder namens Fix. Und ich leerte den üppigen Salatteller (Fr. 8.50) inklusive Randen, Rosinchen und Rucola, obwohl Salat nicht zu meinen Leibspeisen zählt und Rucola alias Senfrauke schon gar nicht.
Ich war etwas verspätet und betrat das Restaurant, als mich der Kellner abfing und sagte: «Sie werden erwartet!» Er geleitete mich in den Innenhof. Dort nippte Herr Keck an seinem Pastis. Wenige Gäste sassen unter den Bäumen, die meisten waren drinnen geblieben, es war ihnen zu kühl. Ich nahm am weiss-blau karierten Tisch Platz.

Hupfende Frauen…
Der Kellner brachte einen Zweier Epesses (7 dl zu Fr. 43.–). Herr Keck lächelte, obwohl er vom Sechseläuten etwas mitgenommen schien. «Diese vielen Reden», stöhnte er. Er hatte zum roten Yvorne (7 dl zu Fr. 47.–) gewechselt. Hinter ihm hupften plötzlich zwei junge Frauen und warfen Arme und Beine von sich. Herr Keck löffelte ruhig seine Spinatcrèmesuppe (für christliche Fr. 5.–), als neben mir, hinter einem weiteren Fenster, ein Priester die Arme hob wie zwei Flügel, bevor seine Worte donnernd auf die Gemeinde hinabhagelten. Die Vehemenz des Priesters verblüffte mich derart, dass ich den Salatteller leerfegte.
Im «Glockenhof» kann man also in der Kapelle heiraten, im Festsaal essen und im Hotel nächtigen. Nur parkieren kann man kaum – das Haus zählt sieben Parkplätze.
«Ich bin immer wieder erstaunt, was es in Zürich alles gibt», sagte ich zu Matthias Sutter, dem Direktor vom «Glockenhof», nach dem Züri-Geschnetzelten mit Rösti (Fr. 35.–, die Sauce verdient spezielle Erwähnung, sie schmeckte hervorragend). Matthias Sutter hatte sich zu uns gesetzt. «Mittendrin so ein hübscher Garten – und ich war noch nie hier!» Aber ich kannte das Hotel. Mein Coucousin aus Pennsylvania war einst im Hotel «Glockenhof» abgestiegen, drei Nächte für zwei am Wochenende, «A good deal», meinte er.

Cevi und St. Anna
Matthias Sutter, Jahrgang 1962 und seit 2007 Direktor, erzählte, das Haus gehöre dem CVJM – dem Christlichen Verein Junger Männer, kurz «Cevi». Sechzig Mitarbeiter und zehn Lehrlinge arbeiten im Hotel mit den fünfundneunzig Zimmern, drahtlosem Internetanschluss, Restaurants und Sälen. Vor dem Hotelbau, wusste Herr Keck, waren auf dem Gelände ab 1433 Glocken gegossen worden (daher der Name Glockenhof), ausserdem Kanonen («Böller», was allerdings nicht dazu führte, dass das Haus Böllerhof hiess). Die damalige Besitzerin baute 1856 die St.-Anna-Kapelle und ein Haus für invalide Kinder. 1887 verkaufte sie an den CVJM, bis heute Besitzer der «Gloggi» – seit 1976 als «Stiftung Glockenhaus».

Bonbons
Das ist alles ein bisschen viel Information. Jedenfalls ist das Hotel sehr gut gebucht (fünfundsiebzig Prozent, sagte Matthias Sutter). Originell war die Idee, dem gestressten Menschen von der Bahnhofstrasse ein Bett anzubieten, für ein Stündchen Mittagsschlaf. Man musste davon absehen, als die Nächstenliebe für zwanzig Franken pro Entspannung allzu wörtlich genommen wurde.
In der St.-Anna-Kapelle war der donnernde Priester verstummt, die Tänzerinnen vom Mehrzwecksaal waren am Duschen. Herr Keck pries seine Kalbsschnitzel mit Morchelrahmsauce und Kartoffelgratin (Fr. 38.–) und erzählte, eines der Gebäude sei ein Gymnasium gewesen. Der Rektor hiess Fischer. Dessen Sohn war wie Keck bei der Pfadi, man rief ihn wegen dem Herrn Papa Fifi.
Und dann las ich in den Unterlagen, Else Lasker-Schüler habe häufig im «Glockenhof» übernachtet. Sie hatte einen kranken Sohn in Davos und kaum Geld. Eine Kollegin berichtete: «Ihr verzieh man alles. Sie war damals die grösste deutsche Dichterin, und niemand wagte es, ihr etwas abzuschlagen.» Manchmal zahlte die grösste deutsche Dichterin mit Bonbons.
Bonbons gibt es bis heute. Als ich vergnügt vors Haus trat, blieb Herr Keck ein paar Schritte hinter mir zurück. «Ich musste ein paar Bonbons mitnehmen», sagte er, «die lagen beim Ausgang so nett in der Schale.»

René Ammann*

Restaurant «Glogge Egge», Sihlstrasse 31, 8001 Zürich, Tel. 044 225 91 91. Täglich von 11.30 bis 24 Uhr.
Warme Küche bis 22 Uhr. www.glockenhof.ch.

*René Ammann und Peter Keck essen und trinken jeweils zu zweit, weil es geselliger ist. Einmal schreibt Herr Ammann, dann wieder Herr Keck.