Lebensqualität trotz allem

Unser Gastschreiber Andrew Katumba hat die Altstadt als Jugendlicher im Ausgang kennen gelernt. Heute lebt er hier und schätzt ihre Vorzüge aus anderer Perspektive.

Etwas muss ich von Anfang an klarstellen. Ich gehöre nicht zu jenen Altstadt-Dinos, die schon seit Äonen von Jahren das Quartier bevölkern. Meine Frau, unsere quirlige Tochter und ich wohnen seit 3 Monaten an Brunngasse, oberhalb des Schuhladens Fera. Vorher wohnten wir 3 Jahre an der Augustinergasse. Hingezogen hat uns der «noch» günstige Mietzins. Wir haben uns vorher jedoch gründlich überlegt, wo wir unsere Zelte aufschlagen sollen. Zur Auswahl stand zudem eine dieser familienfreundlichen Grossstadtsiedlungen am Stadtrand und eine kleine Einfamilienzelle in der «Agglopampa». Wir haben uns für die Altstadt entschieden. Zwar sind die Ozon- und Feinstaubwerte höher als anderswo, dafür befindet sich die Beiz und die Krippe gleich um die Ecke. Ich glaube, wir haben uns sprichwörtlich für das Naheliegende entschieden. Wie viele andere Altstadtbewohner denke ich äusserst ökonomisch, zumindest was mein persönliches Zeitmanagement angeht. Alles befindet sich in der Nähe. Schreiner, Läbis, Velomech, Kneipe, Kebab, Kino, Bibliothek und Vinothek. Nur die Bäckerei Bertschi vermiss ich sehr. Zum Vohdin ist es doch zu weit.
Es kann mir nie schnell genug gehen. Deshalb bin ich oftmals mit dem Velo unterwegs. Von hier aus erreiche ich meine wichtigsten Wochen-Destinationen innerhalb von 5 Minuten. Unvorstellbar der Gedanke, dass ich täglich mehr als 30 Minuten im Auto, Tram oder Zug verbringen müsste. Die zentrale Lage und die sich daraus ergebene Zeitersparnis ist ein zentrales Qualitätsmerkmal dieses Quartiers. Man solle sich nur einmal vorstellen, wie viele Ressourcen man einsparen könnte, wenn mehr Leute im Stadtzentrum anstatt im Agglogürtel wohnen würden. Weniger Stau, weniger Feinstaub, weniger Ärger. Dadurch weniger Gesundheitskosten und mehr Zeit respektive Freizeit. Aber jetzt werde ich politisch. Bleiben wir bei der Sache.

Streifzüge durch das Dörfli
Zum Rathaus sind es von meiner Wohnung aus 325 Schritte. Zur Fraktionssitzung im «Neumarkt» 174 und zur Kommissionssitzung im Amtshaus IV 609 Schritte. Zur Stampfenbachstrasse sind es knapp 2000 Schritte. Dort bin ich aufgewachsen. Nicht ganz. Noch einen Schritt zurück. Aufgewachsen bin ich an der Elsastrasse 20 im Kreis 4. Im Haus der stadtbekannten Bäckerei Oskar Kuhn. Im Lochergut ging ich in den Chindsgi und nebenan in den Hort. Erst kürzlich habe ich meine damalige Hortleiterin wieder getroffen. In der Altstadt, wo sie auch heute noch lebt. Als ich 13 war, zogen wir dann an die Stampfenbachstrasse. Da war ich gerade reif für erste Streifzüge durch das Dörfli.
An den Wochenenden war es ein kunterbunter, abenteuerlicher, feuchtfröhlicher Begegnungsort. Gerade richtig für einen jungen, pubertierenden Lebemann wie mich. Je nach Szene und Alter traf man sich an bestimmten Orten. Zuerst hielt ich mich im damaligen «Kafi Türk» auf, jenem kleinen und zauberhaften Ort an der Kirchgasse gegenüber der «Altstadt-Bar». Am Donnerstag war der Rosenhof angesagt. Nächtelanges Plaudern und Schäkern mit bildhübschen und für mich unerreichbaren Prinzessinnen der Nacht. Natürlich war das «Rägebögli» dazumal eine der angesagtesten Bars. Für den schicken Ausgang schickte man sich in die «Limmatbar», Gesichtskontrolle inklusive. Die üblen Abstürze erlebte ich im auch heute noch verruchten und verrauchten «Kontiki». Schliesslich gab es da noch das legendäre, mosaikverzierte «Pigalle», vor dem missratenen Umbau eine meiner damaligen Lieblingsbeizen.
Im Dörfli gab und gibt es für jede soziale Schicht und jedes Alter die passende Lokalität. Und dies macht diese Ausgehmeile auch so unverwechselbar. Schickimicki neben «Buurechnellä». Nun genug der sentimentalen Schwelgerei.

Nunmehr Wohnquartier
Mittlerweile Vater geworden, richtet sich mein Blick weniger auf die Beizen, als vielmehr auf das Wohnquartier und die damit verbundene Lebensqualität. Seit Zürich zur Stadt mit der besten Lebensqualität gekürt wurde, stürzen sich die Medien wie Schmeissfliegen auf diesen kleinen Fleck. Erst kürzlich habe ich von BBC London eine Anfrage erhalten. Man wolle es doch ein wenig genauer wissen von wegen «warumwiressoguthabenundanderenicht». Da fiel mir zuerst ein Lied von Dieter Wiesman ein: «Bloss e chlini Stadt, wo ein der ander kännt… und wänn au uf em Globus nienäds, wo din Name staht, so bisch du doch en Ort wo’s sich guät läbä laat!» Es ist schön, wenn wir diese Auszeichnung als Stadt erhalten. Es ist jedoch weniger schön, wenn ich dafür den Preis in Form eines überteuerten Bechers Kaffee bezahlen muss und dies erst noch ein einem internationalen «Selbstbedienungsfranchisekafi». Oder wenn ich mich in keinen dieser «Flagshipstoreslumpenläden» mehr getraue. Damit will ich nur sagen, dass Standortmarketing auch seine Schattenseiten hat. Diese werden wir gerade im Zentrum, sprich in der Altstadt, als erste zu spüren bekommen.

Lebensqualität
Aber genug des Katzenjammers. Als Regisseur freue ich mich riesig, dass uns das Kino Frosch und bald auch das Kino Wellenberg, sorry, Academy, erhalten bleibt. Überhaupt freue ich mich als Kinofreak über die unglaubliche Kinodichte in diesem Quartier. Dies bedeutet für mich direkt Lebensqualität. Lebensqualität bedeutet für mich auch, wenn ich im «Grand Café Autogrill» sitzend durch die riesigen Fenster den Bauarbeitern direkt bei der Arbeit zusehen darf. Lebensqualität bedeutet für mich auch, wenn ich an einem lauen Sommerabend den Touristen zuschauen darf, wie sie vergnügt ihre Gabeln im heissen Fondue drehen. Lebensqualität bedeutet für mich, wenn der Nachbarjunge auf der Strasse Fussball spielt und sich nicht durch die elegant gekleideten Passanten stören lässt. Es ist das Neben-, Unter- und Aufeinander, das mir so gefällt. Manchmal etwas dreckig, manchmal etwas laut, aber dafür lebendig. Und ich störe mich auch nicht an den Camions, die Morgen für Morgen eine lange Schlange bilden, bis sie ihre Ware endlich in den umliegenden Beizen und Läden abladen dürfen. Hauptsache das Quartier lebt und mit ihm seine BewohnerInnen!

Andrew Katumba

Unser Gastschreiber
Andrew Katumba (1971) ist in Zürich aufgewachsen. Nach der KV-Lehre bei einem Treuhandbüro machte er sich mit 23 selbständig als Multimediaproduzent. Später arbeitete er im Anstellungsverhältnis; er war
unter anderem Projektleiter bei Bluewin. Seit zwei Jahren ist er wieder selbständig, als Drehbuchautor und Regisseur. Im Herbst ist sein erster Kurzspielfilm im Kino zu sehen. Er ist Vorstandsmitglied der SP 1 und seit neuem im Gemeinderat; Mitglied der Verkehrskommission. Der Vater einer zweijährigen Tochter lebt mit seiner Familie in der Altstadt.