Vielfältiges, reiches Angebot

Detailhandel und Gastronomie sind unter Druck. Wie steht es denn derzeit mit dem Angebot in der Altstadt, genauer: im Niederdorf?

Der Detailhandel steht unter Druck. Seit dem «Frankenschock» als Folge der Aufgabe des Franken-Mindestkurses gegenüber dem Euro im Januar 2015 werden Einkäufe vermehrt im grenznahen Ausland getätigt. Das Online-Shopping hat an Bedeutung gewonnen. An der Europa-Allee und anderswo sind neue Einkaufsmöglichkeiten entstanden. In der Innenstadt werden hohe Mieten verlangt. Die Konkurrenz durch die Grossverteiler ist massiv. Allgemein wird weniger Geld ausgegeben. All diese Faktoren machen dem Detailhandel – auch in der Altstadt – seit einiger Zeit das Leben schwer. Wenn man sich bei den Ladenbesitzern umhört, werden die oben genannten Punkte erwähnt. Dennoch lassen sich viele nicht unterkriegen und machen unverdrossen weiter. – In der Gastronomie besteht ein grosses Angebot, da warten viele Gastronomen auf Gäste.
Nun ist bekannt geworden, dass sich sowohl der «Starbucks» an der Stüssihofstatt, Ecke Rindermarkt, als auch «McDonald’s» an der Niederdorfstrasse aus dem Niederdorf zurückziehen, der erste bald, der zweite Ende Jahr. Man wollte scheinbar das Risiko eines langjährigen Mietvertrags nicht mehr eingehen. Bei «McDonald’s» wurde die Erwartung sinkender Frequenzen im Niederdorf als Grund für den Auszug angegeben, wie in Tagesmedien zu lesen war.
Es kann einem zu denken geben, wenn diese scharf analysierenden und kalkulierenden Unternehmen das Niederdorf als Standort aufgeben. Was zu diversen Medienberichten geführt hat, so auch im Tages-Anzeiger, der unter dem Titel «Das Zürcher Niederdorf verwandelt sich in eine Agglo-Gasse» ein differenziertes, aber doch düsteres Bild des Niederdorfs skizzierte, was bei den Betroffenen einigen Unmut auslöste.

Versteckte Perlen
Steht es denn so schlecht um das Niederdorf, um die Geschäfte und ­Gastrobetriebe und um deren Mix in der Altstadt rechts der Limmat, im Niederdorf? Ja und nein. Einerseits kämpfen wie gesagt die Anbieter um gute Umsätze und dafür, dass am Ende des Monats etwas in der Kasse liegen bleibt, und der Kampf ist in den letzten Jahren härter geworden. Andererseits verfügt gerade die Altstadt
im Vergleich etwa mit der Bahnhofstrasse über ein unverwechselbares Angebot.
Hier gibt es eine Vielzahl Inhaber-geführter Geschäfte, Unikate allesamt. Gerade in den Seitengassen, die von der Niederdorfstrasse abgehen, und deren Quergassen. (Wir wollen mal nur bis zur Stüssihofstatt gehen und auch nicht über die Limmat.) Wegen ihrer Lage sind sie weniger bekannt. Diesem Umstand etwas entgegenzusetzen, hat sich im Frühling der Verein «Quartier im 1» gebildet (siehe unten), der mit der Aktion «Früeligs­putzete» an einem Samstag im April einen Erfolg feiern konnte: Die beteiligten Läden und Gastronomiebetriebe luden zum «Schneuggen» ein und haben mit diversen Aktionen und ­Attraktionen eine «Charme-Offensive» gestartet, die rundweg gut angekommen ist. Demnächst lanciert der Verein einen Plan, auf dem alle Mitglieder verzeichnet sind, und er will sich am Lichterfest im November präsentieren. Denn statt zu jammern will man etwas tun.
Manche dieser Geschäfte und Lokale verdanken ihre Existenz dem Umstand, dass sie eine tragbare Miete zahlen, sie sind in städtischen Liegenschaften eingemietet. Jürg Keller, Vizedirektor der Liegenschaftenverwaltung, erklärte denn auf Anfrage, dass die Stadt bei der Höhe der Miete einen Spielraum habe, man zumindest eine kostendeckende Miete verlange. Damit könne sie Einfluss nehmen auf den Branchenmix. – Vorausgesetzt natürlich, dass sich auf eine Ausschreibung hin tatsächlich Wunschkandidaten melden.

Im Wandel der Zeit
An der Niederdorfstrasse fallen derzeit mehrere geschlossene Läden auf, die Schaufenster sind mit Plastikfolie abgedeckt. Eine überzufällige Häufung, Folge sinkender Frequenzen? Tatsächlich scheinen Mieterwechsel in letzter Zeit zugenommen zu haben. Peter Rothenhäusler, Präsident des Quartiervereins Zürich 1 rechts der Limmat, erklärte, dass er – auch als Anwohner – sowohl sinkende Frequenzen festgestellt habe als auch häufigere Wechsel: «Das Niederdorf ist im Wandel. Jedoch hat es Veränderungen schon immer gegeben, das ist nichts Neues. Mal ist hier ein Hype, morgen verlagert er sich und kehrt vielleicht später wieder zurück.» Diese Gegend, namentlich vom Central bis zur Mühlegasse, sozusagen das untere Niederdorf, ist seit Jahrzehnten mehrheitlich geprägt von Gastrobetrieben und Modeläden. Für Chris­tian Brugger, Präsident der Geschäftsvereinigung Limmatquai/Dörfli, ist auch das Erscheinungsbild ein Faktor: «Sieht man sich das Oberdorf an oder auch den Abschnitt bis zur Mühlegasse, ergeben die Häuser ein schönes, gepflegtes Gesamtbild ab. Nicht so im unteren Niederdorf. Hier könnte man noch optimieren, damit es ein­ladender wirkt.»

Attraktives Angebot
Aber steht es an der Niederdorfstrasse so schlimm mit dem Angebot, dass man die Altstadt meiden müsste? Mitnichten. Auch junge Leute finden hier immer noch, wenn nicht gerade Party total, so doch attraktive Läden und Lokale. Notabene beginnt das eingangs Niederdorf beim Central mit einem «Starbucks», der somit das Niederdorf nicht gänzlich verlassen hat, zudem besteht eine weitere Filiale am Limmatquai nahe Bellevue. Neben dem Café Schurter bietet «Swiss Inspirations» nachhaltige Produkte an. Es folgen Traditionslokale wie «Bierhalle Wolf», «Rheinfelder Bierhalle» und «Johanniter», die nicht selten bis auf den letzten Platz voll sind. Dass hier eine Denner-Filiale entstehen soll, sei doch auch vermerkt, man zählt auf die nahen Hochschulen. Mit dem «Franzos» hat sich ein charmantes Lokal eingenistet, «La Pasta» bietet bezahlbare Speisen, ebenso «Chopstick», von Jungen gern frequentiert wird das «N68», auch die «Gräbli-Bar», der «Big Ben Pub», der «Akt», wo im Freien Wasserpfeifen geraucht werden können. Dolmetsch zieht als «Swiss Shop» Touristen an. Im «Chäs-Chäller» hält die Familie Müller die Stellung. Es folgen «Tasca Romero», «Tre Cucine», Café «Mohrechopf», «Alexis» und «Cana». Die Migros hat Position bezogen an der Mühlegasse, in der früheren Post. (Analog soll in der Fraumünsterpost ja «Lidl» einziehen, scheinbar ein Muster.) – Die Mode­geschäfte seien hier mal ausgespart.
Jenseits der Mühlegasse bietet Fera Qualitätsschuhe an, sind «Züri-Bar» und «Kontiki» wiederauferstanden… Am Hirschenplatz gibt es auf wenigen Metern drei Tattoo-Studios, neuerdings mit «Womo» einen Rasiershop, mit «Titolo» einen Sneaker-Shop, der überrannt wird. Wir haben eine Drogerie und eine Apotheke, um die Ecke ist der «Läbis 1», weiter vorn die «Äss-Bar», die Metzgerei Zgraggen und das Café «Henrici»…
Die Liste soll einen Eindruck vermitteln, sie ist sehr unvollständig und liesse sich beliebig erweitern. Es sei einfach aufgezeigt, dass es in der Altstadt, auch im Niederdorf, ein breites, attraktives Angebot gibt, auch für ­junge Leute. Und das war jetzt nur die Niederdorfstrasse ohne Quer- und ­Parallelgassen, ohne Limmatquai!
Diesem Angebot gilt es Sorge zu tragen. Mit dem eigenen Konsumverhalten.
In den leerstehenden Räumen wird Neues entstehen. Hier sind Ideen ­gefragt, initiative Unternehmer. Wie Jürg Keller sagte: «Bei Vermietungen gilt es auf die Qualität, die Ideen zu achten. Erfolg hat, wer etwas Spezielles bietet, das über 08/15 hinausgeht.»

Elmar Melliger



Verein «Quartier im 1»
Der Verein «Quartier im 1» möchte den Inhaber-geführten Geschäften und Betrieben in seinem Gebiet mit einem gemeinsamen Auftritt und gemeinsam durchgeführten Veranstaltungen und Aktionen zu einem grösseren Bekanntheitsgrad verhelfen und zu einer Belebung der Gassen beitragen. Das Gebiet umfasst Neumarkt, Rindermarkt, Froschau-, Spiegel-, Prediger- und Brunngasse sowie den Predigerplatz. Der Verein zählt bereits über vierzig Mitglieder. EM