Abschied von der Helferei

Sechseinhalb Jahre hat Andrea ­König das Kulturhaus Helferei an der Kirchgasse 13 geleitet. In diese Zeit fiel der zweijährige Umbau des Hauses, was eine grosse Herausforderung darstellte. Und es gab viele Programm-Highlights. Der Altstadt Kurier hat Andrea König zum Gespräch getroffen.

Nach wechselvollen Berufsjahren im In- und Ausland und abwechslungsreichen Tätigkeiten in verschiedensten Arbeitsgebieten haben Sie sich vor sieben Jahren für die Leitung des Kulturhauses Helferei beworben. Was hat Sie damals dazu motiviert?
Andrea König: Beruflich hatte ich mich bis dahin auf zwei Strängen bewegt: in der humanitären Hilfe der Entwicklungszusammenarbeit und im Journalismus. Das Pendeln von einem Arbeitsort zum andern, mal in der Schweiz, dann wieder im Ausland, prägte meine frühere Berufszeit stark. Das Stellenangebot für die Helferei im Sommer 2008 kam in einem Moment, da ich das Bedürfnis hatte zur Ruhe zu kommen und Wurzeln zu schlagen. Ich wünschte mir, die beiden Stränge zusammenzuführen und in der Helferei in neuer Form fruchtbar zu machen. Die Aussicht, meine Erfahrungen in den Programmen des Kulturhauses umsetzen zu können, hat mich sehr gelockt. Eigentlich habe ich dann in der Helferei journalistisch gearbeitet. Statt in Artikeln oder Fernsehbeiträgen setzte ich die Inhalte in Veranstaltungen um.

Mit welchen Vorstellungen sind Sie angetreten?
Ich habe die Aktivitäten der Helferei immer wieder verfolgt, kannte auch die Projekte meiner Vorgängerin, Cornelia Vogelsanger, die ja auch ­Ethnologin ist. Es ging aber nicht darum, ihr Angebot in der gleichen Art fortzuführen. Das hätte ich auch nicht gekonnt. Die Programmgestaltung widerspiegelt immer die Interessen und persönlichen Schwerpunkte einer Leiterin, die ihr eigenes Profil mitbringt.
Mich beschäftigen vor allem Fragen mit politischem Hintergrund. Noch hatte ich keine klaren Konzepte, war neugierig und offen für alles, was auf mich zukam.

Wie war der Anfang; konnten Sie Ihre Interessen umsetzen, und wie kam die Umstellung beim Publikum an?
Bevor ich in die Helferei kam, war ich Pressesprecherin in Jerusalem für das IKRK und als solche immer wieder in Gaza. Beim Antritt meiner Stelle war der Krieg im Gazastreifen zum Jahreswechsel 2008/2009 auf dem Höhepunkt. Daraus resultierte Ende Mai 2009 eines meiner ersten Projekte, die Veranstaltung «Mauern und Brücken» mit Lesungen, Gesprächen und der Schweizer Erstaufführung des Films «The Heart of Jenin» über das Schicksal eines zwölfjährigen ­Palästinensers, der von israelischen Soldaten getötet wird, und dessen Organe an israelische Kinder gespendet werden. Wenige Monate später zeigten wir die vom IKRK produzierte ­Fotoausstellung «Unsere Welt im Krieg». Mit diesem Einstand, der die Ausrichtung der Programme schon klar erkennen liess, stiess ich auf positives Echo.

Wie frei waren Sie bei der Gestaltung des Programms?
Ich bin für die grosse Freiheit sehr dankbar, mit der ich die Projekte durchführen konnte. Die Trägerschaft der Helferei ebenso wie die begleitende Programmkommission haben mich immer wieder unterstützt, ohne aber Inhalte vorzuschreiben. Die Kommission hat mir auch beim Eingehen von Kooperationen mit der Paulus-Akademie, dem Zürcher Lehrhaus, verschiedenen anderen Organisationen und Buchverlagen freie Hand gelassen. Das führte zu fruchtbaren Kontakten und Begegnungen für das Publikum und für mich.

An welche Highlights erinnern Sie sich besonders gerne?
Ein grossartiges Erlebnis war das ers­te Stadtgespräch XL am 9. November 2009, exakt zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Per Zufall gab es genau an jenem Tag keine einzige Fremdveranstaltung im Haus. So wagte ich die Realisierung eines neuen Konzeptes. Im ganzen Haus wurden die unterschiedlichsten Parallelveranstaltungen durchgeführt: Filme im Breitinger-Saal, Gespräche in den kleineren Räumen, ein grosses Podium in der Kapelle und eine Ausstellung im Foyer. Das Publikum sollte selbst wählen, was es interessierte. – Dann bleibt mir das Stadtgespräch XL zum Thema «Japan verstehen» nach der Tsunami-Kata­strophe im März 2011 als berührende Veranstaltung in Erinnerung. Und schliesslich durfte ich mit dem erfolgreich verlaufenen Israel-Projekt «Breaking the Silence», einer riesigen «Kiste», die uns allen auch die Grenzen des Hauses aufgezeigt hat, einen überwältigenden Abschied feiern. Dieses Projekt ist für mich ein Höhepunkt meines bisherigen Berufslebens. Es schlägt auch eine Brücke zurück zum erwähnten Nahost-Programm zu Beginn meiner Helferei-Zeit.

Während einem Teil Ihrer Arbeit in der Helferei wurde das Haus renoviert, und es war geschlossen. Wie erlebten Sie diese Zeit?
Es war keine einfache Zeit. Zum einen zog sich die Planung des Umbaus in die Länge. Ursprünglich hätten die Bauarbeiten im Januar 2010 beginnen und neun Monate dauern sollen. Letztlich schlossen wir das Haus dann erst im Juni 2012 und die Arbeiten dauerten knapp zwei Jahre. Das brachte für alle, das Team und die Kunden, Ungewissheit und forderte ein hohes Mass an Flexibilität und Improvisation. Nach Baubeginn waren Geduld und Ausdauer gefragt. Ein abgespecktes Programm an benachbarten Orten sollte uns nicht ganz in Vergessenheit geraten lassen. Je länger aber die Bauzeit dauerte, desto bewusster wurde mir, dass ich nach der Wiedereröffnung wieder ganz von vorne beginnen musste.

Wie gestaltete sich der Neubeginn?
Wir ahnten, dass der Neustart im April des letzten Jahres schwierig werden würde. Es galt, mit einem völlig neu zusammengestellten Team die umgestalteten Räume mit neuem Leben zu füllen und hohe Erwartungen bisheriger und neuer Benützer zu befriedigen. Das brauchte eine gehörige Anlaufzeit. Erst mit der Offenen Nacht am Heiligen Abend waren wir in der Helferei wieder richtig angekommen.

Was bedeuten die Jahre in der Helferei für Sie persönlich, und wie fühlt sich der Abschied an?
Diese Jahre sind ein wichtiger Abschnitt meiner Biographie. Ich bin dankbar für die vielen wertvollen Begegnungen in dieser Zeit. Es ist ein gutes Gefühl, mit einem Programm-Höhepunkt abzuschliessen und zu wissen, dass die Helferei wieder auf soliden Beinen steht. Was die Zukunft für mich bereithält, ist offen. Vorerst sind Pause und Ausruhen angesagt.

Interview: Matthias Senn

Zur Person
Andrea König (1959) studierte Ethnologie und erwarb sich, wiederholt pendelnd zwischen humanitären Aufgaben und journalistischen Tätigkeiten, ein breites Spektrum an beruflichen Erfahrungen.
Einen grossen Teil ihrer Karriere verbrachte sie im Ausland. Als Delegierte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), als Korrespondentin für das Schweizer Radio und Fernsehen und im Auftrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) wirkte sie viele Jahre in Afrika und im Nahen Osten. Unter ­anderem war sie verantwortlich für Entwicklungsprojekte in Rwanda und arbeitete als IKRK-Pressesprecherin während des Darfur-Konflikts im ­Sudan.
Vor sechseinhalb Jahren übernahm sie die Leitung des Kulturhauses Helferei.