Für frischen Wind gesorgt

Sie haben als junges Direktionsteam frischen Wind ins Theater am Neumarkt gebracht, haben risikofreudig buntes, politisches, innovatives Theater gemacht. Nun ziehen Barbara Weber und Rafael Sanchez weiter. Der Altstadt Kurier hat sich mit ihnen unterhalten.

Nach fünf Jahren gilt es Abschied zu nehmen vom Theater Neumarkt. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf, wie fühlen Sie sich?
Rafael Sanchez: Es ist wie mit dem Wetter in diesem Frühling: Man kanns fast nicht glauben. Fünf Jahre schon vorbei! Und wenn man mit der Aufgabe überfordert ist, geht die Zeit noch schneller vorbei.
Barbara Weber: Es braucht zwei Jahre, bis man angekommen ist mit dem Programm und schon ist man wieder in der Endkurve. Es ist noch zu früh zu gehen, fürs Gefühl, aber es ist schon der richtige Moment.

Inwieweit haben Sie Ihre Ziele im Allgemeinen erreicht?
Weber:
Viele unserer Ideen und Fantasien konnten wir umsetzen. In der Auseinandersetzung mit den Leuten und mit Zürich hat sich darüber hinaus Neues herauskristallisiert.
Sanchez: Solche Fantasien hat man ja zu Beginn als Fremder, als Besucher quasi. Erst mit der Zeit wird man mit dem Ort vertraut. Hier gleich neben dem Theater zu wohnen war mir dann übrigens zu nah, man hat keine Distanz, sieht jederzeit, ob das Theater gut besucht ist oder weniger gut. Kürzlich war beim Stück «Truppenbesuch» gerade um 21 Uhr, bei der leisesten Szene, ein Kanalreinigungsfahrzeug vor dem Theater lautstark im Einsatz. Ich bemerkte das von der Wohnung aus und bin hinausgeeilt, um den Arbeiter um eine kurze Pause zu bitten, bis wir den Applaus hörten, dann hat er weitergemacht. Das ist doch schräg. Vor allem am Anfang hat mich das gestresst, diese Nähe.

Wie steht es um den Publikumsmix und die Auslastung?
Sanchez:
Da hatten wir keine Vorgaben, im Auftrag steht nur, dass wir Kunst machen sollen.
Weber: Avantgardistisches, experimentelles Theater zu machen, das steht im Pflichtenheft.
Sanchez: Die ersten zwei Jahre waren wir sehr gut ausgelastet, das dritte war schwächer, dann gings wieder rauf. So eine Wellenbewegung.
Weber: Es ist gut, aufzuhören in einer Aufwärtskurve.

Sie konnten auch ein jüngeres Publikum ansprechen, beide haben Sie Jahrgang 1975.
Weber:
Ja, es ist uns wohl schon gelungen, so unsere Altersgruppe abzuholen.

Was hat gefehlt oder war schwierig? Und was würden Sie das nächste Mal anders machen?
Sanchez:
Alles, ich würde nichts ein zweites Mal machen. Aber wenn es das erste Mal wäre: Personell haben wir haarsträubende Entscheide gefällt, als Anfänger.
Weber: Wir dachten zuerst, das Theater müsste eine grosse Künstler-WG sein und dann haben wir gemerkt, dass es etwa im Büro gut ist, auch noch ein paar andere Leute zu haben. So haben wir unsere Erfahrungen gemacht.

Und vom Programmatischen her?
Sanchez:
Da haben wir viel riskiert, am Schluss noch verstärkt. Da würde ich ein nächstes Mal noch mehr davon machen.

Inwieweit hat sich das Zweierteam bewährt?
Weber:
Wir waren ja Regisseure und haben das mit der Leitung nirgends gelernt. Achtzig Prozent der Arbeit hatten wir noch nie gemacht.
Sanchez: Künstlerisch hatten wir
einen super Austausch. Es war angenehm, eine Vertraute zu haben. Für das Haus war es wohl etwas anstrengender, weil immer jemand von der Leitung da war.
Weber: Manchmal war es aber auch so, dass wir zwei verschiedene Ideen hatten und am Ende eine dritte, abgeschwächte Version wählten.
Sanchez: Umgekehrt ist durch den Austausch Neues entstanden, sind neue Aspekte dazugekommen.
Weber: Die Zusammenarbeit war gut, es war super, mit jemandem reden zu können. Und so konnten wir auch einmal im Jahr in einer anderen Stadt etwas inszenieren und es war immer noch jemand von der Leitung da.

Woran wird man sich später erinnern, was macht Ihre Intendanz am Neumarkt besonders?
Weber:
Da habe ich zu wenig Distanz, das müssen andere sagen.
Sanchez: Vielleicht, dass beide auch inszenierten? Und, was ich gehört habe: Es sei so «wild», was wir machen. Für mich ist es einfach normal.

Sie haben auch das Lokale gepflegt. Beim Stück «Sommernachtstraum» haben Sie explizit das Quartier miteinbezogen. Inwieweit sehen Sie das Neumarkttheater auch als Kreis-1-Theater, als Quartiertheater?
Sanchez:
Ich sehe es überhaupt nicht als Quartier-Theater. Das Niederdorf muss aufpassen, dass es nicht zu einer geschützten Werkstatt wird. Wir hatten Probleme wegen Lärm, gegeben durch das Engräumliche. Meiner Meinung nach wird viel Energie investiert, dass es ein ruhiges Quartier ist. Das Theater ist seit fünfzig Jahren da, aber es darf niemanden stören.
Weber: Es besteht die Gefahr, dass das Quartier zur Kulisse wird.
Sanchez: Bei allem Schönen, das es hat.

Und zurück zum Quartierbezug, den es ja gab…
Sanchez:
Grundsätzlich waren wir interessiert, im Kleinen etwas zu finden, was gültig ist auch im Grossen.
Weber: Beim «Sommernachtstraum» zum Beispiel wollten wir die Rollen der Handwerker im Stück mit realen Handwerkern aus dem Quartier besetzen und Dora Koster hat den Puck gespielt.
Sanchez: Die Nachbarn sind traurig, dass wir gehen, das stimmt einen dann selbst ganz melancholisch.
Weber: Es ist auch gut, dass wieder neuer Wind in die Neumarktbude kommt.

Was für spezielle Erlebnisse hatten Sie, mit Blick auf das Quartier?
Sanchez:
Sehr positive, mit unseren Nachbarn. Helen Faigle vom Laden nebenan ist mit ihrer ganzen Crew ins Theater gekommen, eine Nachbarin hat all ihre Hausnachbarn eingeladen. – Das andere waren anonyme Lärmbelästigungsmails, die mir zu denken gaben.
Weber: Es war super mit den Nachbarn im Quartier, ich habe auch viele Tipps erhalten für Ava. Lustig, alle schauen in den Kinderwagen, interessieren sich. (Ava ist die dreimonatige Tochter.)

Wie ist es mit dem Wohnen?
Sanchez:
Hier wohnen zu dürfen, ist exquisit. Ausser wie erwähnt, dass ich mich an die Nähe zum Theater gewöhnen musste. Es ist ein Riesenglück, hier wohnen zu können, ein Privileg. Da muss man auch etwas in Kauf nehmen, etwa die Putzmaschine morgens um sieben.
Weber: Ich war vorher im Kreis 5 und wohne nun seit anfangs Jahr im Quartier.

Wenn Sie nun das Theater Neumarkt verlassen: Was für ein Haus übergeben Sie, wo liegen allfällige Probleme?
Sanchez:
Wir können ein gut aufgestelltes Haus zurückgeben, auch vom Image her. Wir haben sehr viel Verschiedenes angeboten.
Weber: Es ist ein vielfältiges Haus. Wir haben viel ausprobiert und manchmal auch riskiert. – Daran könnte die neue Leitung gleich anknüpfen und weitermachen.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Weber:
Ich werde wieder als freie Regisseurin arbeiten und ich wünsche mir nicht nur im im deutschsprachigen Raum. Meine Arbeit am National Theater in Athen letzten Sommer war eine grossartige Erfahrung. Mich also wieder nur um die Kunst kümmern. Wohnen bleibe ich mit meiner Familie im Kreis 1 und in Paris. Da haben wir eine Wohnung.
Sanchez: Ich ziehe mit meiner Familie nach Köln, wo ich beim Theater Schauspiel Köln als Hausregisseur tätig sein werde, meine Frau wird im Ensemble sein. Am meisten leid tut mir der Umzug für meine beiden Kinder, sie haben es so schön gehabt hier.

Doch zunächst gibt es noch ein Fest, nicht?
Sanchez:
Ja, am Samstag, 22. Juni, mit Musik und Essen für alle. Und am folgenden Tag ist dann die letzte Vorstellung. Grad alles auf einmal.
Weber: Es ist ja ein Abschied nicht nur von uns, sondern das ganze
Ensemble und auch die Büromitarbeitenden gehen. Einzig die Technik-Crew, die bleibt. – Alle sind am Fest herzlich willkommen.

Interview: Elmar Melliger