Obergericht wieder in der Altstadt

Nach dem Abschluss der Bauarbeiten konnten die Mitarbeitenden des Obergerichts von ihrem Exil im Seefeld zurückkehren an den an­gestammten Ort in der Altstadt, wo das Gericht sich seit 1836 befindet und am 13. Februar den Betrieb wieder aufnimmt. Bereits vor dem Umzug wurden die Medien zu einem Rundgang eingeladen.

Der Zugang zum Obergericht erfolgt neu über den Parkplatz zum Haus Hirschengraben 15. Der bisherige Haupteingang am Hirschengraben 13 dient nur noch als Personaleingang. Diese Änderung dient der Verbesserung der Sicherheit, was eines der Hauptziele des ganzen Projekts war. Vorbei an der Pförtnerloge gelangt man durch eine «Vereinzelungsanlage» in den gedeckten Innenhof, der zwischen dem Altbau und dem ­Er­weiterungsbau liegt. Dieser meh­rere Geschosse hohe Lichthof wird Verhandlungs- oder Wandelhalle genannt, hier zirkulieren Anwälte und Besucherinnen und Besucher von Gerichtsverhandlungen. Gleich zur Linken ist nämlich der Gerichtssaalbau mit dem renovierten Hauptsaal. In dunklem Nussbaumholz gehalten, Parkettboden, Wandverkleidung und Mobiliar, strahlt der Raum etwas Ehrwürdiges aus. Dies war auch ein wichtiges Anliegen, wie der Obergerichtspräsident Heinrich Andreas Müller an der Führung erklärte, einen würdigen Rahmen zu schaffen für das oberste kantonale Gericht und für alle Beteiligten. In den Obergeschossen sind drei weitere, kleinere Gerichtssäle ­sowie Verhandlungszimmer.

Crèmeschnitte
Das Projekt «Mille-feuille» des Aarauer Architekturbüros «felber, widmer, kim architekten» hatte sich im Projektwettbewerb durchgesetzt gegen 55 andere Bewerber. Der Name spielt an auf das Konzept, öffentlich zugäng­liche und interne Bereiche strikt voneinander zu trennen, namentlich in der Vertikalen.
So sind das Erdgeschoss, die zweite und die vierte Etage öffentlich zugänglich, nicht aber die Zwischengeschosse. Schreitet man wie auf dieser Führung die Bereiche ab, bemerkt man auf den öffentlichen Korridoren Sandstein als Bodenbelag, auf den intern genutzten Korridoren wurde Parkett verlegt. Im fünften Stock sind übrigens die Büros des jeweils für vier Jahre gewählten Obergerichtspräsidenten, des Generalsekretärs und dessen Stellvertreters. Und eine kleine Dachterrasse für die Chefs. – Die Altbauten wurden renoviert und auf den neusten technischen Stand gebracht; sie erfüllen wie der Neubau Minergie-Standard. Eine gediegene Atmosphäre strahlt etwa der für Versammlungen der 39 Oberrichter genutzte sogenannte Plenarsaal aus, der ausgestattet ist mit einer dunkelgrünen Seidentapete.

Erweiterungsbau
Durch den Erweiterungsbau wurde die Geschossfläche von 12 000 Quadratmeter um die Hälfte erhöht auf 19 000 Quadratmeter. Der durch den Kantonsrat im Januar 2008 bewilligte Baukredit von 82 Millionen Franken konnte (abgesehen von einem durch Zusatzbestellungen entstandenen Mehrbetrag von 1,5 Millionen Franken) in etwa eingehalten werden; die genaue Abrechnung wird erst etwa in einem Jahr vorliegen, wie David Vogt, Abteilungsleiter beim kantonalen Hochbauamt, erklärte. Im Gebäudekomplex stehen insgesamt rund 240 Arbeits­plätze zur Verfügung.
Im Erweiterungsbau sind hauptsächlich Büros untergebracht. Hier befindet sich auch die neue Cafeteria, die ebenfalls mit dunklem Nussbaumholz ausgestattet und mit modernen riesigen Leuchten versehen ist und sich ins Obergeschoss ausdehnt.
Von der Unteren Zäune her kann man übrigens einen Blick darauf erhaschen. Die durch die Mitarbeitenden genutzte juristische Bibliothek ist ein Bijoux geworden und bietet einige Plätze für ungestörtes Arbeiten.
Der Medienraum sorgt für Trans­parenz: Von der Obmannamtsgasse her gewährt er durch beidseitig riesige Fenster den Blick auf den aus dem 14. Jahrhundert stammenden ­gotischen Kreuzgang des damaligen Barfüsserklosters.

Was nicht gezeigt wurde
Der Rundgang konnte nur einen beschränkten Einblick bieten, zu gross der Komplex, um alles zu sehen. Nicht gezeigt wurde zum Beispiel das Untergeschoss. Hier werden unter ­anderem die Beschuldigten zugeführt, um von hier direkt in den Gerichtssaal geleitet zu werden, ohne den bisher üblichen Spiessrutenlauf vorbei an Medienvertretern und Schaulustigen. Damit soll die Würde der Beschuldigten gewahrt werden, wie Obergerichtspräsident Müller betonte.
Ebenso ausgelassen wurde das Haus Lindenegg, wo wenig spektakuläre Büros untergebracht sind. Aber auch die Tiefgarage für 39 Autos auf zwei Etagen, die durch zwei Autolifte am Hirschengraben, Nähe Untere Zäune, erreicht werden, blieb den neugierigen Medienvertretern vorenthalten. Oder der erhalten gebliebene Weinkeller der früheren Staatskellerei,
der für interne Festivitäten genutzt werden soll.
Ebenso wenig gezeigt wurde der ganze Aussenbereich. Der Anblick des ­Erweiterungsbaus von aussen war den Verantwortlichen keinen Umweg wert. Man hätte den Bau in seiner schieren Grösse gesehen. Ein Bau, an dem sich die Geister scheiden. Man hätte den mit Bäumen bepflanzten kleinen Park gesehen, der über der Tiefgarage wieder angelegt wurde. An der Unteren Zäune wäre man auf die drei neu gesetzten Platanen von bereits stattlicher Grösse gestossen und in der Ecke auf die vier jungen Linden. An der Obmannamtsgasse hätte man den Brunnen angetroffen, der etwas nach oben versetzt und um 180 Grad gedreht wurde. Er und der barocke Garten musste der Einfahrt für die ­Zubringung der Beschuldigten weichen. Auf einer kleinen Kanzel steht er nun, umgeben von Sitzgelegen­heiten und einer Sockelbepflanzung mit Eiben. Zwei junge Linden ersetzen die beiden den Bauarbeiten zum Opfer gefallenen Bäume.
Nach dreieinhalb Jahren Provisorium im Seefeld und knapp drei Jahren Bauzeit nimmt das Obergericht also wieder seinen Betrieb auf an seinem angestammten Ort, erweitert um einen Neubau, der schon viel zu reden gab und der dem Obergericht und ­seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen zeitgemässen Arbeitsort bietet, der den Sicherheitsanforderungen genügt und der die Platzprobleme – annähernd – gelöst hat.

Elmar Melliger

Einweihungsfeier mit einem Nachmittag der offenen Tür für die Bevölkerung ist am Samstag, 9. Juni.


Kommentar
Innen fix…
Die Altbauten des Obergerichts sind renoviert worden und strahlen eine ­Eleganz und Würde aus, wie es dem höchsten kantonalen Gericht geziemt. Der Ergänzungsbau beeindruckt ebenso durch gediegen ausgestattete ­Räume. Kunst am Bau lockert auf und setzt Akzente. So viel zum Innern, das den Betrachter insgesamt überzeugt.
Der Anblick von aussen dagegen besticht weniger. Einer Besucherin der ­Altstadt, die kürzlich unvermittelt vor dem Erweiterungsbau stand, entfuhr es: «Was, das ist das neue Obergericht?! Das isch aber en schaurige Chlotz!» In der Nachbarschaft hat es bissige Kommentare gesetzt: So etwas passt doch nicht in die Altstadt! So ein Riesenbau mit Flachdach, zu wuchtig, zu hoch. Man hätte das Ganze auf der grünen Wiese bauen sollen! Weshalb den Bau hier reinmurksen, wenn der Platz heute bereits wieder zu knapp ist? (So bleibt namentlich das dem Kanton gehörende Haus Obmannamtsgasse 21 entgegen ursprünglichem Versprechen weiterhin durch das Obergericht ­belegt und kann nicht anderweitig, etwa als Wohnhaus, genutzt werden.)
Unabhängig von der Grundsatzfrage, ob man das Obergericht oder Teile ­davon nicht besser anderswo angesiedelt hätte, bleibt der tägliche Anblick des Neubaus von aussen. Denn für die Bevölkerung ist das Obergericht ein Gebäudekomplex, der von aussen gesehen wird und die gediegenen Innen­räume bleiben in der Regel verborgen.
Und da lässt sich wohl sagen: Innen fix, aussen – gewöhnungsbedürftig.

EM