Von den Kleinen lernen

Liebe Ida Bindschedler, der letzte Adressat Ihrer lesesüchtigen Regula war Goethe, von Charles Lewinsky eingedeutscht. Nun sind Sie es, die Erfinderin der Turnachkinder. Sie haben meine Kindheit nachhaltig bereichert. Ich wusste schon früh, wo am Weinplatz ihre Familie gewohnt hatte, und dass Sie im Sommer jeweils in die Seeweid im Seefeld zügelten. Dort befindet sich seit 1968 das Museum Bellerive resp. seit 2018 das Zentrum Architektur Zürich (ZAZ).
Die Rudolf Gottfried Bindschedler-Familienstiftung wurde 1918 gegründet. Sie hat ein tolles Archiv. Darum können auch die Nachfahren erfahren, wie es früher zuging. Ida Bindschedler lebte 1854 bis 1919. Sie gilt bis heute neben Johanna Spyri (Regula verlebte ihre Kindheit am Spyriplatz) und Olga Meyer bis heute als eine der erfolgreichsten Jugendbuchautorinnen. «Die Turnachkinder im Sommer» und «Die Turnachkinder im Winter» erschienen 1906 und 1909.
Ein Herzleiden hatte die leidenschaftliche Lehrerin 1897 in den Ruhestand gezwungen. Sie zog nach Augsburg zu ihrer Freundin Emma von Wachter, wo sie sich als Journalistin und Schriftstellerin einrichtete. Sie schrieb nicht nur ihre Turnachkinder, sondern auch Reiseberichte und Erzählungen, die in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden, zum Beispiel in Westermanns illustrierten deutschen Monatsheften, in der Schweizerischen Illustrierten Monatsschrift, im Grütlikalender… Die Historikerin Judith Burgdorfer (1967), in der Bindschedler-Stiftung engagiert, zeigt uns in ihrer Ida-Bindschedler-Biografie (NZZ Libro, 34 Franken) nun auch die Journalistin und Schriftstellerin hinter der Turnachkinder-Autorin. Sie zeigt uns Schweizer Literaturgeschichte durch die Augen einer engagierten gutbürgerlichen Zürcherin um die Jahrhundertwende.
Den Turnachkindern bleibt Regula treu. Aber sie begeistert sich neuerdings auch für Margrit Auer (geb. 1967), die 2013 «Die Schule der magischen Tiere» erfunden hat, freilich für das bayerische Umfeld, aber das ist eigentlich egal. Gute Ideen (Schriftsteller und Regisseure sprechen manchmal auch von «Plots») funktionieren international, siehe Heidi, Pippi Langstrumpf, Jim Knopf oder Globi.
Das ist ja das Schöne an diesem Medienwandel, der einhergeht mit der schnellen Übertragung und Übernahme von starken Ideen, ob Bilderbuch, Podcast oder Instagram: Elin (9), die herzige Enkelin meines Partners, hat mir dieser Tage ganz unverhofft zu dieser Entdeckung verholfen. Ich habe gelernt: Es sind nicht immer die Grossen, die den Kleinen das Wichtige beibringen.

Regula